Der Hexer - NR30 - Buch der tausend Tode
unmerklich schüttelte er den Kopf.
»Ich würde meine eigene Mutter belügen, um Necron zu erledigen«, sagte er leise. »Aber dich nicht, Robert. Bitte glaube mir. Priscylla war niemals frei. Nicht eine Sekunde. Es war nichts als ein gemeiner Betrug Necrons.«
»Du lügst!« brüllte ich. Plötzlich, wie es in Augenblicken höchster emotionaler Erregung oft geschieht, schlug mein Schmerz in rasenden Zorn um. Ich packte ihn, riß ihn in die Höhe und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, ein Hieb, der meine eigene Hand schmerzen ließ. Shannon machte nicht einmal einen Versuch, ihn abzuwehren, sondern blickte mich nur weiter sehr ernst an.
»Du lügst!« brüllte ich noch einmal. »Das ist nicht wahr! Priscylla gehört nicht zu ihm! Sie... sie war bei mir, vergangene Nacht! Ich habe mit ihr gesprochen! Ich habe sie ge-«
»Das war nicht Priscylla«, sagte Shannon ruhig.
Ich schrie auf, packte ihn noch fester und holte zu einem weiteren Hieb aus. Aber ich führte die Bewegung nicht zu Ende.
»Was sagst du da?« flüsterte ich.
»Die Wahrheit, Robert«, sagte er. »Und du weißt es. Von mir aus schlage mich. Schlag mich zusammen, wirf mich in den See, ersteche mich – es wird nichts ändern. Priscylla ist in Necrons Gewalt. Sie war es immer und wird es immer sein, so lange er lebt.«
Ich ließ ihn los. Meine Hände hatten plötzlich nicht mehr die Kraft, ihn zu halten. »Aber... aber wer... wer war es dann, der...«
»Die gleiche Frau, die mich befreit hat«, sagte Shannon leise. »Shadow.«
»Shadow?!« Ich schrie fast. »Du willst damit sagen, ich... ich habe mit einem Engel –
»Nichts ist geschehen, was nicht geschehen sollte«, unterbrach mich Shannon ruhig. »Alles war geplant, Robert. Vom ersten Moment an. Deine Fahrt zum Krakatau, deine Reise durch die Staaten, dein Zusammentreffen mit Annie und dem Indianer, dein Weg hierher.« Er lachte leise. »Ein Mann wie Necron hat mächtige Feinde, Robert. Du solltest hierher kommen, in Begleitung der El-o-hym, denn zusammen wäret ihr vielleicht stark genug gewesen, Necron zu vernichten. Aber jetzt ist etwas geschehen, womit niemand rechnen konnte.«
»Was?«
»Das, was ich dir gezeigt habe«, antwortete er. »Necron hat Priscylla gezwungen, die Kräfte des NECRONOMICON zu entfesseln.«
»Aber das... das kann niemand!« keuchte ich. »Nicht, ohne daran zu zerbrechen.«
Shannon zuckte mit den Achseln.
»Glaubst du, das würde Necron stören?« fragte er böse. »Oh nein. Und außerdem – sie kann es. Necron hat das erkannt, schon kurz, nachdem er sie hierher gebracht hat. Priscylla ist nicht das harmlose Kind, für das du sie hältst, Robert. Sie ist... begabt. Auf ihre Weise vielleicht stärker als du und ich. Ihre geistige Kraft reicht aus, die Macht des NECRONOMICON zu entfesseln – und zu lenken. Necron hat das sofort gespürt. Er hat den größten Teil des vergangenen Jahres damit verbracht, sie zu trainieren. Jetzt benutzt er sie. Das war es, was ich dir zeigen wollte.«
»Und was... was bedeutet das?« flüsterte ich. »Ist sie jetzt... vollkommen... verloren?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Shannon nach kurzem Überlegen. »Vielleicht... gibt es noch eine Möglichkeit, sie zu retten, aber ich wüßte nicht, wie. Und selbst wenn – ich fürchte, uns bleibt kaum genügend Zeit. Der Angriff der Templer ändert alles.«
»Wieso?«
»Die Kräfte des NECRONOMICON sind leichter entfesselt als gebändigt, Robert«, antwortete Shannon. »Necron hätte es niemals gewagt, sie jetzt schon zu erwecken, hätten ihm die Tempelritter nicht diese letzte Waffe praktisch aufgezwungen.« Seine Miene verdüsterte sich.
»Diese Narren. Sie werden genau das herbeiführen, was zu verhindern sie eigentlich hergekommen sind. Hätten sie Necron auf andere Weise angegriffen, hätten sie ihn vielleicht sogar geschlagen. Aber so zwingen sie ihn, zum Letzten zu greifen.«
»Wovon zum Teufel redest du?« murmelte ich. »Ich verstehe kein Wort!«
Shannon lachte. »Das kannst du auch nicht, Robert«, sagte er. »Das NECRONOMICON ist nicht einfach nur ein Zauberbuch. Es... es lebt, wenn auch auf völlig fremde Art. Und keine Macht der Welt wird seine Kräfte bändigen können, wenn sie einmal entfesselt sind. Nicht einmal Necron.«
»Warum tut er es dann?«
»Weil ihm keine Wahl bleibt«, sagte Shannon düster. »Balestrano ist mit fünfhundert Männern draußen vor dem Berg aufmarschiert, Robert, unter ihnen die vier stärksten Master, die der Orden jemals
Weitere Kostenlose Bücher