Der Hexer - NR30 - Buch der tausend Tode
für ihn.«
Shannon nickte düster, auf eine Art, als hätte er erwartet, genau das zu hören. »Dann bleibt mir keine Wahl mehr«, flüsterte er. »Ich hätte es gerne vermieden.«
»Was?« fragte ich mißtrauisch.
»Es gibt noch eine Möglichkeit«, sagte Shannon anstelle einer direkten Antwort. »Ich bin sicher, daß Necron ganz genau weiß, daß wir hier irgendwo auf ihn warten. Aber es gibt einen Weg, ihn trotzdem aus seinem Versteck zu locken.«
»Und welchen?« fragte ich. Das ungute Gefühl, das seine Worte in mir geweckt hatten, wurde mit jedem Moment stärker.
Shannon seufzte, stand wieder auf und deutete mit einer nur angedeuteten Handbewegung auf meine rechte Hosentasche. »Dein Amulett, Robert«, sagte er. »Du hast es bei dir?«
»Amulett?« Im ersten Moment verstand ich nicht einmal, was er meinte. Dann griff ich in die Tasche, zog den kleinen, sternförmigen Anhänger heraus und drehte ihn fast hilflos in den Fingern. Es war Andaras Amulett, das letzte Andenken an meinen Vater. Ich hatte es verloren und wiedergefunden, und wie Shannon jetzt war auch ich dem Irrtum erlegen, daß es ein besonders mächtiger magischer Talisman sein mußte, denn schließlich hatte mein Vater es getragen.
»Ich fürchte, ich muß dich enttäuschen«, sagte ich. »Ich habe es untersucht, mehr als gründlich. Und andere auch. Das hier ist nichts als ein Stück wertlosen Metalles.« Ich lächelte resignierend und streckte die Hand aus, damit Shannon den goldenen Stern genauer in Augenschein nehmen konnte, aber etwas seltsames geschah: Shannon stieß einen halb erschrockenen Laut aus, prallte zurück und hob abwehrend die Hände, als hielte ich eine entzündete Dynamitstange in der Hand.
»Was hast du?« fragte ich. Ich lächelte nervös. »Es ist vollkommen harmlos!«
»Ja«, sagte Shannon säuerlich. »So harmlos, daß Necron seinen rechten Arm dafür gäbe, es zu bekommen.«
»Was soll das?« fragte ich, allmählich zornig werdend. »Necron hat mich von Kopf bis Fuß durchsuchen lassen, Shannon. Er hat mir dieses Amulett zurückgegeben.«
»Weil er nicht weiß, was es wirklich ist«, sagte Shannon. Er deutete auf den Protoplasmasee. »Wirf es hinein.«
»Ich soll – was?« keuchte ich.
»Wirf es hinein«, wiederholte Shannon. Er unterstrich seine Worte mit einer einladenden Geste.
Ich rührte mich noch immer nicht. Shannon preßte ungeduldig die Lippen aufeinander, streckte plötzlich doch den Arm aus und nahm das Amulett aus meiner Hand, wobei er allerdings sorgsam darauf achtete, nur die dünne goldene Kette und nicht den Anhänger selbst zu berühren. Ich sah ihm an, welche Überwindung es ihn kostete, selbst dies zu tun. Den Arm so weit ausgestreckt, als hielte er eine schlechtgelaunte Klapperschlange am Schwanz, drehte er sich herum, kniete am Rand des schwarzen Sees nieder – und tauchte das Amulett mit einer blitzartigen Bewegung in die mattglänzende Masse.
Es war, als hätte er eine Fackel in ein Pulverfaß geworfen.
Dicht unter der Oberfläche des Sees flammte ein grelles Licht auf. Ein dumpfer Schlag erschütterte den Boden und ließ mich taumeln, und plötzlich schossen Flammen aus der brodelnden Masse, weißglühende Blitze fuhren peitschend in die Luft. Der See begann zu brodeln. Dünne, gezackte Linien aus weißem Feuer zerrissen seine Oberfläche, brennende Spritzer der widerlichen Masse flogen hoch und trieben mich zurück.
Auch Shannon brachte sich mit einem raschen Sprung in Sicherheit, als der See immer starker und stärker zu brodeln begann. Eine mannsdicke, mehr als zehn Yards hohe Feuersäule schoß in die Höhe, dort, wo er das Amulett eingetaucht hatte, überall blitzte und zischte es, und für einen Moment glaubte ich fast, der ganze gewaltige See begänne zu brennen.
Dann erlosch das Feuer wieder. Zuerst waren es die kleinen Flämmchen, die von der schwarzen Masse erstickt wurden, dann hörte das Kochen und Brodeln auf, und schließlich sank selbst die gewaltige Flammensäule ganz langsam wieder zusammen, um am Schluß ebenfalls zu verlöschen.
Aber das bemerkte ich kaum.
Mein Blick hing wie gebannt an Shannons ausgestrecktem Arm und an der dünnen Kette, die er noch immer in den Fingern hielt. Das Amulett an ihrem Ende hatte sich vollkommen verändert.
Es hatte noch immer die Form eines fünfstrahligen Sternes, etwas kleiner als eine Kinderfaust und von seltsam fremdartigen Proportionen. Aber es bestand jetzt nicht mehr aus mattem Gold.
Das, was jetzt am Ende der Kette
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