Der Hexer - NR39 - Die Rache des Schwertes
wußten sie es selbst nicht so genau, dachte er spöttisch. Möglicherweise existierte dieser Feind nur in den Köpfen dieser übergeschnappten Fanatiker, und diese gigantische Sandrose unter ihm war nichts als ein Wunder der Natur – das natürlich, da es nicht ausdrücklich als von Gott geschaffen gekennzeichnet war, nur Schlechtes bedeuten konnte.
Hendrik amüsierte sich eine Weile mit der Vorstellung, wie die obersten Spinner dieses Haufens von Verrückten jeden Stein in der Wüste umdrehten, um nach dem Stempel: Made by Heaven, Inc. Ausschau zu halten.
Auf seine drängenden Fragen waren die Antworten einfach ausgeblieben. Er hatte sie schließlich gefordert und zuletzt gedroht, nach Paris zurückzukehren und den Großmeister zu informieren.
Die Leute hatten sich nicht darum gekümmert. Sie wußten, daß er vor dem Kampf nicht zurückstehen konnte, ohne als feige zu gelten. Ihm war gar nichts anderes übriggeblieben, als seinen Zorn hinunterzuschlucken, seine Waffen zu nehmen und mit ihnen zu reiten.
Sie hätten ebenso irgendwelche Beduinenstämme in der Wüste angreifen können oder versuchen, die heiligen Stätten von Jerusalem und Nazareth aus der Hand der Osmanen zu befreien. Hendrik hätte sich auch nicht gewundert, wenn die französischen Ritter aus reinem Nationalegoismus die englischen Truppen, die im Sudan gegen die aufständischen Derwische des Mahdi kämpften, angreifen wollten. Doch statt dessen hatten sie es sich in den Kopf gesetzt, die Welt vom Fürsten der Hölle, dem Antichristen, zu befreien.
Dieser Gedanke lenkte seinen Blick wieder auf jenes bizarre Kristallgebilde.
Und plötzlich schien irgend etwas damit zu geschehen.
Hendrik vermochte die Veränderung nicht in Worte zu fassen, aber er spürte sie, sehr, sehr deutlich. Dort unten bereiteten sich Dinge vor, die jenseits allen menschlichen Denkens waren. Was war das? dachte er bestürzt. Spürte er dieses... Fremde wirklich oder hatte er einfach zu lange in der Sonne gesessen?
Hendrik sah sich nach den anderen Templern um, die wie er in der glühenden Wüste warteten. Ihre Gesichter wirkten jetzt weit weniger steif und blasiert wie in der Ordensburg. Ihre Hochnäsigkeit schien mit dem Näherrücken des Kampfes zu weichen. Zu seiner Überraschung erwiderten sie seinen Blick und lachten ihm sogar zu.
»Bald ist es soweit, Bruder van Retten. Bald wird das Blut der Höllengeschöpfe in Strömen von unseren Schwertern rinnen«, rief Noel de Guirac und klopfte ihm auf die Schulter. Hendrik konnte sich nicht erinnern, daß ihn der andere bis zu diesem Tag überhaupt angesprochen hatte. Gut, dachte er. Es mögen arrogante Pinsel sein, aber sie werden im Kampf ihren Mann stehen. Und darauf kommt es ja auch in erster Linie an. Wenngleich er sich auch dessen nicht vollkommen sicher war. Letztlich wußte er ja nicht einmal, gegen wen sie überhaupt kämpften. Geschweige denn, warum.
Van Retten hatte all den Unfug vom Antichristen keine Sekunde lang geglaubt. Er war ein strenggläubiger Templer, der jeden töten würde, der eine Gefahr für seinen Orden oder die Christenheit darstellte – aber das bedeutete nicht, daß er an einen leibhaftigen Satan mit Klumpfuß und Quastenschwanz glauben mußte.
Die Unruhe unter den Templern, dieses Herbeifiebern des Kampfes, nahm mit jeder Sekunde zu. Alle Augen richteten sich auf den Mann, der abseits von ihnen auf einer Sanddüne stand und wie gebannt in das Tal hinabschaute.
»Roi Philippe lauscht dem Atem der Wüste«, flüsterte de Guirac voller Ehrfurcht.
Hendrik sah mit einer Mischung aus Interesse und Tadel zu dem Mann hinüber, den er noch vor wenigen Tagen wie die Pest gehaßt hatte. Roi Philippe nannten ihn seine Leute – König Philipp – da Philippe de Valois einem der alten Herrschergeschlechter Frankreichs entstammte. Aber mittlerweile war seine Verachtung langsam, aber sicher zu einer Mischung aus Mißtrauen und echter Furcht geworden.
Hendrik erinnerte sich, daß de Valois lange Zeit als ernsthaftester Konkurrent Balestranos für den Rang des Großmeisters gegolten hatte. Doch zu seinem Pech waren kurz vor der Entscheidung mehrere Tempelritter in der Wüste umgebracht worden, ohne daß es de Valois und seinen Leuten gelungen war, den Mörder, der von den Einheimischen Sill el Mot genannt wurde, zur Rechenschaft zu ziehen.
Aus diesem Grund wurde Balestrano zum Großmeister gewählt, während für Philippe de Valois nur der Posten des Meisters der Wüste blieb. Genauer gesagt, dessen
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