Der Hexer - NR39 - Die Rache des Schwertes
worden waren.
Ich taumelte weiter, wurde abermals an der Schulter getroffen und stolperte über einen Toten. Erneut bebte der Boden, und diesmal folgte dem Beben und dem Steinhagel ein entsetzlich tiefes, unglaublich mächtiges Stöhnen, als begänne das ganze gewaltige Gebilde um uns herum auseinanderzufallen. Es hörte sich fast an wie ein Schrei. So, als brülle die Sandrose ihren Schmerz heraus.
Gleichzeitig bebte der Boden unter unseren Füßen so heftig, daß wir alle Mühe hatten, uns auf den Beinen zu halten. Die Kristallwände um uns knisterten wie altes Holzgebälk. Sand rieselte wie braungelbes Blut aus den Wänden. Wenige Schritte vor uns zerteilte ein breiter, vielfach gezackter Riß den Boden wie ein erstarrter Blitz.
»Es ist zu spät!«
Ich hatte Mühe, Sills Worte durch das Weltuntergangsgetöse überhaupt zu verstehen. Der Staub war so dicht, daß ich ihr Gesicht nur noch als hellen Fleck vor mir sah. Instinktiv streckte ich die Hand aus, griff nach ihrem Arm und tastete mich daran entlang, bis ich ihre Finger berührte.
Sie wich der Berührung nicht aus; im Gegenteil. Beinahe verzweifelt klammerte sie sich an mir fest. Und für einen Moment war sie mir ganz nahe.
Es war absurd, verrückt und vollkommen unlogisch – aber plötzlich vergaß ich das tobende Chaos rings um mich herum, die einstürzende Sandrose, ja sogar die Templer und das Yighhurat – ich hatte nur noch Augen für sie, Sill. Nicht Sill el Mot, den Templerjäger. Nicht die lebende Kampfmaschine, als die ich sie erlebt hatte. In diesem Moment war sie nur noch eine Frau für mich.
Und als ich in ihre Augen blickte, wußte ich, daß sie dieses Gefühl erwiderte.
Aber nur kurz. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Kopf, breitete sich in rasendem Tempo in meinem Körper aus und ließ mich vor Schmerz aufstöhnen. Ich hätte vor Qual schreien können, doch mein Mund schien mir nicht mehr zu gehören. Nur der Schmerz war noch da, und die Frau, deren Blick mich bannte. Ihre Gedanken und Sinne lagen offen vor meinem Geist, als warteten sie nur darauf, daß ich nach ihnen griff und mich ihrer bediente. Es war wie die sonderbare Übermittlung von Wissen vorhin, nur intensiver, tausendmal intensiver.
Ich wollte ihre Hand loslassen, doch ich war nicht länger Herr meiner Kräfte, sondern nurmehr ihr Sklave. Ich sah Sills magisches Potential vor mir und tauchte in sie ein wie ein Verdurstender in einen kühlen See. Ich wurde sie – und blieb dennoch ich. Und mehr noch – ich wurde zu dem Wesen, mit dem Sill sich verbündet hatte und das vom Zaubersturm des Desert-Masters und von dem Auge schwer getroffen in seinen Kavernen tief im Bauch der Sandrose lag und auf den Tod wartete. Auf wessen Tod? Auf seinen eigenen? Auf Sills? Oder auf meinen?
Auf den Tod von uns allen, wurde mir mit eisigem Schrecken klar. Doch das, was in mir erwacht war und mich mit seinen magischen Klauen packte, das wollte leben.
Es suchte die Kraft, die das Verderben verursachte, und spürte es auf. Es war der Zauber des Yighhurats, den der Desert-Master geweckt und gegen den eigenen Schöpfer gerichtet hatte.
Die Parallelen zu den Ereignissen in der Festung der Dschinn erschreckten mich. Ich fühlte mich sterbenselend und schwach, doch das Erbe meines Vaters, meine magische Kraft, erwachte zu eigenem Leben. Verschmolzen mit Sills Geist und dem Herren der Burg, faßte sie nach dem Auge und dämpfte seine zerstörerische Kraft. Doch ich wußte, daß damit die endgültige Vernichtung der Burg und meiner Existenz nur hinausgezögert wurde, solange der Desert-Master das Yighhurat in Händen hielt.
* * *
ICH blickte durch die massiven Felswände, als bestünden sie aus Glas.
ICH sah überlebende Templer und Mamelucken in panischer Flucht dem Ausgang zustreben. Und ICH sah den Desert-Master, der sie anführte.
Er erschien MIR wie eine dunkle Wolke der Arroganz und Selbstzufriedenheit – und war doch nur ein Narr, der Kräften den Kampf angesagt hatte, derer er niemals Herr werden konnte.
Er hatte jene Geschöpfe vernichtet, die ICH als Wächter gegen die Handlanger Der Dreizehn ausersehen hatte, und damit die Macht des Verderbens, die er brechen wollte, nur noch gestärkt.
Mit einem Schritt stand ICH vor ihm und sah das Entsetzen, ja den Irrsinn in seinen Augen glühen.
Dann sah ICH mich in de Valois’ Gedanken selbst. Und hatte Mühe, nicht im selben Augenblick dem Wahnsinn zu verfallen, obwohl ICH wußte, daß ICH nicht MICH selbst sah, sondern den
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