Der Hexer - NR49 - Hochzeit mit dem Tod
Mächten angelegt, deren Macht der von Göttern nahe kam, hatte Schlachten geschlagen und gegen Ungeheuer gekämpft, und alles letztlich nur, um Priscylla zu befreien. Mehr als einmal war ich dem Tod nur um Haaresbreite entronnen und in Situationen geraten, die mir selbst im nachhinein noch die Haare zu Berge stehen ließen.
Aber dies war eine der Geschichten, in denen am Ende doch die Guten gewannen.
Es hatte sich gelohnt. Priscylla war frei, sie war gesund – und in wenigen Minuten würde sie meine Frau sein: Mrs. Priscylla Andara-Craven, Besitzerin eines der größten Häuser der Stadt, Herrin eines der größten Vermögen des Landes und Ehefrau des ansehnlichsten, tapfersten, bescheidensten und nettesten Mannes des Empires.
Mir.
Etwas geschah...
Es ging unglaublich schnell, und ich wußte auch hinterher nicht, was es wirklich gewesen war: Es war wie ein Ruck, der durch die Realität ging, ein rasches, kaum merkliches Zucken, als wäre das ganze Geschehen vor mir nichts als ein Spiegelbild im Wasser, in das ein Stein geworfen wurde.
Das Gefühl verging so rasch, wie es gekommen war.
Aber etwas hatte sich geändert.
Mit einem Male schien es kälter zu sein. Die Schatten waren länger und tiefer und bedrohlicher, und ich meinte überall Bewegung zu sehen, wo keine war, ein Kriechen und Schleichen und Schleimen, das mich schaudern ließ. Das aufgeregte Murmeln der Menge klang plötzlich drohend in meinen Ohren. Ich fror.
Priscylla kam langsam näher, blieb zwei Schritte vor mir stehen und lächelte mir zu; selbst durch den Schleier hindurch konnte ich es sehen.
»Alles in Ordnung, Liebes?« flüsterte ich.
»Natürlich«, antwortete sie ebenso leise. Und fügte hinzu: »Mit dir auch?«
Der Unterton von Sorge in ihrer Stimme war unüberhörbar. Sah man mir meine Nervosität so sehr an? dachte ich betroffen.
Ich nickte überhastet, rettete mich in ein verlegenes Grinsen und deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück. »Ich war nur etwas überrascht«, gestand ich.
»Du... bist doch nicht böse, oder?« fragte Priscylla.
»Natürlich nicht. Im Gegenteil«, versicherte ich. »Es war eine phantastische Idee. Und jetzt komm. Wir sollten den Oberpriester nicht warten lassen.«
»Es heißt nur Priester«, verbesserte mich Priscylla lächelnd, obwohl sie genau gespürt hatte, daß es ein absichtlicher Versprecher gewesen war.
Ich ergriff Mary Windens dargebotenen Arm, setzte einen möglichst gewichtigen Gesichtsausdruck auf und begann mit gemessenen Schritten in die Kirche hineinzugehen. Die gewaltige Kirchenorgel begann zu spielen; leise, sehr ruhig und sanft zu Anfang, aber mit jedem Schritt lauter werdend, bis die dunklen Töne zu einem gewaltigen Orkan aus Musik anschwollen.
Ich bin niemals ein sehr religiöser Mensch gewesen, aber in diesem Moment verspürte ich doch eine sehr deutliche, tiefe Regung. Vielleicht lag es an diesem Gebäude. Es war wohl kein Zufall, daß große Kirchen die Menschen schon immer fasziniert haben. Und die St. Paul’s Cathedral war wahrlich eine große Kirche. Ich mußte daran denken, was Howard einmal über die Kathedrale gesagt hatte: das steingewordene Wort Gottes. Und er hatte recht. In dieser Kirche hatten Könige geheiratet.
Ganz langsam näherten wir uns dem Altar. Die Musik schwoll weiter an, dann fiel der Chor ein, den Gray oder Mary bestellt haben mußten. Schließlich, nach einer Ewigkeit, wie es mir schien, verstummte die Musik, und der Priester gebot Priscylla und mir, auf der samtbezogenen Bank vor dem Altar niederzuknien. Wir gehorchten. Während er begann, auf lateinisch die Messe zu zelebrieren, sah ich mich um.
Der Innenraum der St. Paul’s Cathedral war gewaltig. Immer wieder glitt mein Blick zu der fast neunzig Yards hohen Kuppel, an deren Wände mehrere schmale Galerien entlangliefen. Deren unterste, die »Flüstergalerie«, weit über London hinaus bekannt geworden war. Wenn man gegen die Wand flüsterte, waren die Worte noch weit entfernt zu hören. Ein akustisches Phänomen, für das es sicher eine Menge wissenschaftlicher Erklärungen gab, das die Menschen aber trotzdem faszinierte. Auch jetzt war sie nicht leer. Eine einsame, schlanke Gestalt mit lang wallendem goldenem Haar stand dort oben und blickte auf die versammelte Gemeinde und uns herab. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, ohne daß ich zu sagen wußte, woher.
Ich verscheuchte den Gedanken und versuchte, mich auf die Predigt zu konzentrieren. Aber es gelang mir nicht. Ich war
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