Der Hexer - NR49 - Hochzeit mit dem Tod
einen Moment verstört an und fragte mich, warum er so grinste. Erst dann sickerten seine Worte ganz allmählich an mein Bewußtsein.
»Zu... Mann und Frau?« vergewisserte ich mich.
Das unwillige Murren in den Bänken hinter mir nahm zu, aber der Priester bewahrte eine schon fast bewundernswerte Ruhe.
»Ja«, sagte er freundlich. »Sie dürfen die Braut küssen, Mister Craven.«
Wir tauschten die Ringe, und dann hob Priscylla die Hände, um den Schleier zu lüften.
Das Gesicht! Nicht das Gesicht!
Meine Bewegung kam so schnell, daß ich selbst machtlos dagegen war. Blitzartig griff ich zu und umklammerte ihre Arme, Bruchteile von Sekunden, ehe sie den Schleier lüften konnte.
Priscylla keuchte überrascht. Einen Moment lang versuchte sie ganz instinktiv, ihre Hände loszureißen. Aber natürlich war ich viel zu stark für sie. »Was... was tust du, Robert?« fragte sie verwirrt.
Der Schleier! Es würde geschehen, wenn sie den Schleier lüftete!
»Sie dürfen ihre Frau küssen, Mister Craven«, sagte der Priester noch einmal.
Meine Hände begannen zu zittern. Ich benahm mich wie ein Idiot. Das Murren in den Bänken hinter mir wurde lauter. Aber ich konnte nicht loslassen. Wenn ich es tat...
Meine Hände lösten sich. Priscylla atmete erleichtert auf und hob den Schleier. Das Gesicht dahinter –
Zwei schleimige, fast schwarze Blutfäden rannen aus den zerfransten Löchern, die einmal ihre Augen gewesen waren. Ihre Haut war nicht glatt und zart, wie ich sie kannte, sondern faltig wie die einer uralten Frau; zudem mit Warzen und Runzeln übersät.
war Priscyllas Gesicht, ihr wunderschönes, liebreizendes Gesicht, keine Teufelsfratze, und trotzdem –
alterte es noch weiter, binnen weniger Sekunden verflossen für sie Jahre, binnen einer Minute Jahrzehnte. Ihr Gesicht trocknete aus und fiel ein; das Fleisch verdörrte, und schließlich spannte sich nur noch mumifizierte, an Pergament erinnernde Haut über ihren Knochen, bis auch diese zu Staub zerfiel und nur ein Totenschädel übrig blieb, in dessen leeren Augenhöhlen immer noch ein verzehrendes Feuer brannte, und auf dessen Zügen auch jetzt noch ein satanisches Grinsen lag. Ihre verfaulten Zahnstümpfe bewegten sich, als sie zu sprechen versuchte –
Ich zitterte. Ein dumpfes, schmerzhaftes Stöhnen entrang sich meinen Lippen, ein Laut, der mir selbst fremd und entsetzlich vorkam.
Der Traum! Er wurde wahr!
»Küß mich, Liebling«, flüsterte Priscylla.
Ich war gelähmt. Ich konnte mich nicht bewegen. Nicht sprechen. Nicht atmen. Nicht einmal denken. Priscyllas Gesicht näherte sich dem meinen.
»Nun sind wir für alle Zeit vereint, Robert«, sagte sie mit brüchiger Stimme. Es klang wie das Knistern jahrhundertealten Papiers. »Für immer, Robert!«
Unfähig, mich zu rühren, starrte ich sie an. Sie war die Priscylla, die ich kannte und liebte, niemand anderes. Das entsetzliche Alptraumwesen entstammte nur meiner Phantasie. Ich sah jedes winzige Detail ihres Gesichtes, jeden Zoll ihrer seidigen Haut, ihre schwarzglänzenden, wunderschönen Haare, den vollen sinnlichen Mund, der mehr versprach als einen flüchtigen Kuß vor dem Traualtar, aber gleichzeitig hörte ich auch –
ein gräßliches, blubberndes Geräusch, das aus dem zerfransten Loch drang, das einmal ihr Mund gewesen war.
»Küß mich endlich«, flüsterte Priscylla. »Alle sehen schon zu uns her!«
Ich sah ein weißes Wimmeln in den leeren Höhlen, die einmal ihre Augen gewesen waren, roch den entsetzlichen Gestank und hörte ihr hämisches Kichern, aber ich konnte mich nicht einmal mehr bewegen.
Ihre Lippen berührten die meinen.
Und es waren die weichen, sinnlichen Lippen eines Mädchens, nicht der harte Knochen eines Totenschädels.
Und sie küßte ganz und gar nicht so, wie eine Braut ihren Bräutigam zu küssen hatte, in aller Öffentlichkeit und noch dazu in einer Kirche! Ihr Kuß war sinnlich, voller Verlangen und unausgesprochener Verheißungen. Ihre Zunge glitt über meine Lippen, und –
verwandelte sich in einen schleimigen, faulenden Wurm, der mich mit einem Gefühl unbeschreiblichen Ekels erfüllte, und –
die Illusion verging endgültig.
Im gleichen Moment, in dem wir uns küßten, fand ich in die Wirklichkeit zurück. Mit fast schmerzhafter Wucht erwachte ich.
Aber ganz kurz, den Bruchteil eines Sekundenbruchteiles zuvor, spürte ich, wie etwas Körperloses, unglaublich Starkes sich von mir zurückzog.
Dann fiel ich in Priscyllas Armen in Ohnmacht.
* *
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