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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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schade«, erwiderte er. »Dabei hätte dem alten Sturschädel eine Wallfahrt sicher gutgetan. So etwas lehrt einen Demut, findet Ihr nicht? Ein jeder sollte wissen, wo sein Platz ist.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand der Bürger­ meister durch eine schmale Tür in der Mauer. Zurück blieben eine wutschnaubende Magdalena und ihr Vater, der so laut mit den Zähnen mahlte, dass Simon eine Gänsehaut bekam. Kuisls Gesicht unter der Kapuze war kalkweiß.
    »Verfluchte Patrizierbrut«, murmelte der Henker tonlos. »Glauben, wir Ehrlosen sind nichts weiter als Dreck. Ich bete für den Tag, an dem ich einen von denen auf der Streckbank habe.«
    »Schlappschwanz!« Magdalena funkelte Simon zornig an. »Und so was will mein Mann sein! Wieso gibst du vor dem Pfeffersack klein bei?«
    »Weil ich ein Gemetzel verhindern wollte, du dumme Gans!«, zischte Simon. »Kannst du das denn nicht verstehen? Wenn es zum Streit gekommen wäre, wäre dein Vater dem alten Semer doch sofort an die Gurgel gesprungen und dafür auf dem Schafott gelandet. Verflucht! Warum müsst ihr Kuisls bloß immer so verdammt sturköpfig sein?«
    Magdalena schwieg trotzig, doch ihr Vater lachte leise. Offenbar hatte er sich wieder ein wenig beruhigt.
    »Du hast recht, Simon«, brummte er. »Vermutlich hast du dem Semer und mir damit das Leben gerettet.«
    Mit gemächlichen Schritten stapfte Kuisl auf den Eingang zum Hospital zu. »Bruder Jakobus!«, lachte er. »Ein reisender Minorit und Heiler! Simon, Simon, wo hast du nur das Fabulieren gelernt?« Grinsend winkte er den anderen beiden, ihm zu folgen. »Und jetzt zeigt euch euer Bruder Jakobus mal, wie man einen anständigen Fiebertrank anrührt. Nicht so ein Dreckszeug, wie es ein lausiger Bader zusammenpanscht.«
    Ein paar Stunden später tollte Magdalena mit ihren zwei Kindern über eine der vielen Blumenwiesen unweit des Klosters. Der fast dreijährige Peter rannte hinter einem Schmetterling her, während sein jüngerer Bruder Paul Blumen und wilde Kräuter rupfte und sich genießerisch in den Mund steckte. Sorgsam achtete seine Mutter darauf, dass keine giftigen darunter waren.
    Magdalena atmete den Duft des frühen Sommers ein und versuchte all die Sorgen der letzten Tage zu vergessen. Simon und ihr Vater saßen mittlerweile wieder in der Stube des Schinders und brüteten über dem Hostiendiebstahl. Ihr Vater schien von einer Art Fieber ergriffen; die Pläne zur Rettung seines Freundes Nepomuk ließen ihn alles andere vergessen. Auch seine beiden Enkel.
    Peter und Paul hatten eine ganze Weile am Rockzipfel ihres Großvaters gezerrt. Als Kuisl sie jedoch auch nach längerem Quengeln nicht auf den Schoß genommen oder durch die Luft geworfen hatte, waren sie dazu übergegangen, ihre Mutter zu drangsalieren. Seufzend hatte Magdalena schließlich auf­gegeben und war mit ihnen ins Freie gegangen. Jetzt musste sie feststellen, dass der Spaziergang auch für sie eine Wohltat war.
    Leise vor sich hin summend, wanderte sie mit den Kindern am Waldrand entlang, zeigte ihnen die ausgerupften Federn eines Buntspechts oder warf zur Freude der Kleinen mit Tannenzapfen nach ein paar verschreckten Eichhörnchen. Das Lachen der Kinder steckte Magdalena an, und so fühlte sie sich zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig glücklich.
    Doch dann gingen ihr die hasserfüllten Worte des Schongauer Bürgermeisters noch einmal durch den Kopf.
    Kusch, Henkersdirn!
    »Hure« und »Natterngezücht« hatte Karl Semer sie genannt. Für ihn war sie nichts anderes als eine vorlaute ehrlose Kebse, die sich in Kreisen bewegte, die weit über ihrem Stand waren. Vor Magdalenas Vater hatte Semer immerhin Respekt und vermutlich sogar ein wenig Angst, doch dessen Tochter war für ihn nichts weiter als eine Hure. Beklommen dachte Magdalena daran, was sein würde, wenn ihr Vater irgendwann einmal nicht mehr da war. Würden die Schongauer sie dann aus der Stadt jagen?
    Das Weinen des kleinen Paul riss sie zurück in die Wirklichkeit. Er war gestürzt und hatte sich das Knie an einem moosigen Stein aufgeschlagen. Während Magdalena tröstend auf ihn einredete, nahm sie ihn auf den Arm und sah sich dann nach ihrem Ältesten um. Ihr Herz machte einen Satz.
    Peter war verschwunden.
    Hektisch drehte Magdalena sich im Kreis und suchte mit ihren Augen den Waldrand und die Wiese ab, doch der Bub war nirgendwo zu sehen.
    »Peter!«, rief sie laut gegen das Jammern ihres jüngeren Sohns an. »Peter, wo bist du? Hast du dich

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