Der Hexer und die Henkerstochter
haben. Mattigkeit, Kopfschmerzen, Fieber – aber auch die roten Punkte auf der Brust und die graugelb belegte Zunge.«
»Sagt dein Signore Fracasdingsbums auch, wie man diese Krankheit heilt?«
»Äh, so weit ist die Wissenschaft leider noch nicht, aber …«
»Ich fürchte, deine Erklärungen müssen noch ein wenig warten«, unterbrach ihn Magdalena. »So wie mein Vater dort drüben dreinschaut, möchte er mit uns sicher nicht über Arzneien debattieren.«
Sie deutete zur Tür, wo soeben Jakob Kuisl erschienen war. Wie ein großes Schiff pflügte der Henker durch das niedrige Gewölbe auf sie beide zu. Er machte einen äußerst mürrischen Eindruck.
»Wir müssen reden«, knurrte Kuisl. »Etwas Unvorhergesehenes ist passiert. Und ich bin sicher, es hängt mit diesen Morden zusammen.«
Eine Viertelstunde später saßen Simon und Magdalena auf einem Mauerstück unweit des Hospitals, während der Henker unruhig vor ihnen auf und ab ging. Kuisl hatte ihnen in kurzen Worten von dem Diebstahl der Heiligen Hostien erzählt und von dem Gespräch, das er in der Heiligen Kapelle belauscht hatte. Für die gelegentlich vorbeiziehenden Wallfahrer sah es so aus, als würde ein schlechtgelaunter Mönch zwei Pilgern ins Gewissen reden.
»Aber … aber das ist ja schrecklich!«, hauchte Magdalena. »Wenn die Hostien bis zum Fest nicht wieder auftauchen, werden die Menschen bestimmt vermuten, dass der Golem sie gestohlen hat. Ganz Andechs wird ein einziger Hexenkessel sein!«
»Vermutlich ist es genau das, was dieser wahnsinnige Mörder will«, erwiderte Simon.
Magdalena sah ihn fragend an. »Glaubst du denn, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den beiden Morden, dem verschwundenen Virgilius und dem Diebstahl der Hostien?«
»Jedenfalls würde das gut zu unserem Unbekannten passen«, erwiderte Simon achselzuckend. »Dieser Teufel will ganz offensichtlich Panik schüren unter den Wallfahrern. Zuerst die Morde und der Automat, jetzt der Diebstahl … Fragt sich bloß nach wie vor, was der Wahnsinnige damit bezweckt.«
Jakob Kuisl hielt in seinem Marschieren inne und wischte sich unter der Kapuze den Schweiß von der Stirn. »Panik schüren? Ich bin mir da noch nicht sicher«, brummte er. »Vielleicht geht es doch um etwas ganz anderes. Vergesst nicht, dieser Virgilius hat davon gesprochen, dass sich irgendjemand für diese verfluchten Blitzexperimente interessiert. Ich jedenfalls …«
»Pssst!« Magdalena drückte die Hand ihres Vaters und deutete verstohlen zum Ende der Gasse, wo soeben zwei weitere Wallfahrer auftauchten. Es waren der Schongauer Bürgermeister Karl Semer und sein Sohn. Zielstrebig ging der ältere Patrizier auf Simon zu, ohne auf die beiden anderen zu achten. Im letzten Augenblick gelang es Jakob Kuisl, die Kapuze tief ins Gesicht zu ziehen.
»Fronwieser, gut, dass ich Euch hier treffe«, begann der Bürgermeister herrisch. »Ich bin sicher, unser Gespräch vor zwei Tagen war ein großes Missverständnis.« Lächelnd streckte er die Hand aus, die Simon ignorierte.
»Nun, wie auch immer«, fuhr Karl Semer fort und strich sich verlegen mit der Hand über den Rock. »Sagt, habt Ihr in letzter Zeit noch einmal mit dem Abt geredet? Für mich ist Hochwürden ja nicht zu sprechen, und auch Graf Wartenberg scheint äußerst verstimmt. Zuerst kommt er zu spät in die Messe, und dann verlässt er sie auch noch früher und schlägt die Tür zu. Wisst Ihr vielleicht, was dort vorgefallen ist?«
Simon verschränkte die Arme vor der Brust. »Tut mir leid, aber ich habe die ganze Zeit im Hospital zu tun«, erwiderte er tonlos. »Ich kann Euch wirklich nicht weiterhelfen.«
Semer seufzte. »Wenn nicht mir, dann vielleicht meinem Sohn.« Er deutete auf Sebastian Semer, der mit zornig funkelnden Augen an der Seite des Bürgermeisters stand. Offensichtlich hatte Sebastian noch mehr als sein Vater unter diesem Bittgang zu leiden.
»Mein Filius wird schon bald die Geschäfte in Schongau übernehmen«, säuselte Karl Semer. »Die Geschäfte, und wohl auch bald mein Amt. Wenn Ihr mir helft, soll es Euer Schaden nicht sein, Fronwieser.« Seine Stimme bekam plötzlich etwas Drohendes. »Aber wenn das Geschäft mit dem Grafen nicht zustande kommt, wenn meine Investitionen in das bevorstehende Pilgerfest ein Verlust werden sollten, dann …« Er machte eine dramatische Pause. »Ich kann Euch das Leben mehr als schwermachen, Herr Bader. Steuern, die Erlaubnis zum Heilen, vom Amt verlangte
Weitere Kostenlose Bücher