Der Hexer und die Henkerstochter
versteckt?«
Irgendwo schrie ein Eichelhäher, Bienen summten in der Luft, ihr Jüngster greinte, sonst war nichts zu hören. Magdalena spürte, wie ihr Atem schneller ging.
»Peter!«, schrie sie noch einmal und rannte in den Wald hinein. »Das ist kein Spiel mehr! Bist du hier irgendwo? Mama sucht dich!«
Mit ihrem zweiten Sohn auf dem Arm stolperte sie über einige Wurzeln und tauchte dann immer tiefer ein in das Dickicht der Bäume. Der Wald empfing sie wie ein schweigendes Heer von Riesen. Plötzlich blieb sie stehen, direkt vor ihr fiel ein Hang beinahe senkrecht in die Tiefe. Ein paar Meter unter ihr lagen Felsen, welke Blätter und tote Äste.
O Gott! , fuhr es ihr durch den Kopf. Lass das nicht wahr sein! Lass ihn nicht dort runtergefallen sein!
Einen kurzen Moment glaubte sie, den Körper ihres Sohnes wie eine zerbrochene Puppe zwischen den Ästen zu sehen. Doch erleichtert stellte sie fest, dass es nur ein morscher Baumstamm war. Aber dann kroch erneut die Angst in ihr hoch. Peter musste gar nicht dort unten liegen, sein Verschwinden konnte auch eine ganz andere Ursache haben.
Was war, wenn dieser Golem ihn sich geschnappt hatte?
Magdalena kniff die Lippen zusammen, um nicht laut aufzuheulen. Simon und auch ihr Vater hatten ihr zwar erzählt, dass es keine Golems gab. Aber in den letzten Tagen waren zu viele Dinge passiert, die sie auch nie für möglich gehalten hätte. Ihr Herz schlug jetzt so schnell, dass der kleine Paul sie verstört ansah.
»Mama?«, fragte er vorsichtig. »Mama weint?«
Magdalena schüttelte den Kopf. »Der Peter …«, sagte sie so ruhig und freundlich wie nur irgend möglich, »er ist weg. Wir müssen ihn suchen. Hilfst du mir suchen?«
»Peter bei Mann?«, erkundigte sich Paul. Als seine Mutter ihn verständnislos ansah, fragte er noch mal. »Peter bei großen Mann?«
»Bei … bei welchem Mann ?« Kurz war Magdalena so entsetzt, dass sie den Jungen beinahe fallen gelassen hätte. »Sag schon, Paul! Von welchem Mann sprichst du?«
»Netter Mann. Hat süße Beeren.«
»O Gott!« Magdalenas Stimme klang jetzt schrill. »Verflucht, Paul! Welcher Mann hat euch Beeren gegeben?«
»Da, der Mann.« Paul deutete nach unten, wo am Fuß des Hanges ein hoher, fast mannshoher Felsen zu sehen war. Dahinter ertönte leises Kindergelächter. Im nächsten Moment tauchte hinter dem Steinbrocken der strahlende Peter auf, jemand trug ihn auf seinen Schultern.
Es war der stumme Matthias.
Magdalena fühlte, wie ihr ein tonnenschwerer Stein vom Herzen fiel. Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen, und sie lachte befreit auf. Wie hatte sie nur annehmen können, dass ein Spukwesen ihren Sohn in seiner Gewalt hatte! Dieses Kloster machte sie noch ganz verrückt.
»Ach, den Mann meinst du!«, sagte sie zu ihrem jüngsten Sohn und winkte Peter und Matthias zu. Peters Hosen waren schmutzig und verklebt mit nassem Laub, sein Hemd hatte einen Riss, doch ansonsten schien er unversehrt. Fröhlich winkte er zurück.
»Mama!«, krähte er. »Hier bin ich, Mama! Bin runtergefallen, aber der Mann hat mir geholfen.«
»Du … du Miststück von einem Lausejungen!«, brach es aus Magdalena heraus. Sie versuchte, trotz der Erleichterung streng zu klingen. »Hab ich dir nicht hundertmal gesagt, dass du nicht von mir weglaufen sollst? Schau selbst, wie du aussiehst!«
»Der Mann hat mir geholfen«, erwiderte Peter stoisch, und Matthias stieß ein lautes Grunzen aus, das wohl eine Art Begrüßung darstellen sollte. Einmal mehr fiel Magdalena auf, wie einnehmend der stumme Schindergeselle war. Mit seinen rotblonden Haaren und dem breiten Brustkorb wirkte er dort unten beinahe wie der heilige Christophorus mit dem Jesuskindlein auf den Schultern.
»Mann hin oder her«, drohte Magdalena und suchte nach einer Stelle, wo sie mit Paul im Arm gefahrlos den Hang hinuntersteigen konnte. »Heute Abend geht’s jedenfalls ohne süßen Brei ins Bett, hörst du?«
Endlich hatte sie eine etwas flachere Stelle gefunden, die es ihr erlaubte, auf dem nassen Laub langsam nach unten zu gleiten. Am Grunde der Talsenke angekommen, empfing sie ein grinsender Matthias. Er verbeugte sich leicht, so dass sie ihren Ältesten in die Arme schließen konnte.
»Nie wieder läufst du mir weg, verstanden?«, schimpfte Magdalena auf Peter ein, während sie ihn fest an ihre Brust drückte. »Nie wieder!«
Der stumme Matthias grinste sie immer noch an. Dann nestelte er in seiner Hosentasche und hielt ihr
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