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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Messe nicht rauchen durften.
    »Es sind drei Riegel!«, sagte Simon aufgeregt, während er im hinteren Teil des stinkenden Krankensaals einen Sud aus Weiden­rinde aufgoss. »Drei Riegel, die nur durch drei unterschiedliche Schlüssel von drei unterschiedlichen Personen geöffnet werden können. In dieser Chronik aus der Kloster­bibliothek wird alles genau beschrieben. Die Heilige Kapelle ist vermutlich die sicherste Reliquienkammer in ganz Bayern.«
    In Gedanken versunken rührte der Medicus die kochende braune Brühe um. Magdalena strich derweil eine nach Harz duftende Salbe auf Tücher, um sie später den Patienten um die Brust zu wickeln. Schon seit einer guten Stunde kümmerten sich die beiden Schongauer nun um die zahlreichen kranken Wallfahrer. Der Saal war mittlerweile bis auf das letzte Bett besetzt, und immer wieder kamen neue Patienten hinzu.
    Seufzend strich sich die Henkerstochter eine Locke aus der Stirn und streckte ihr schmerzendes Kreuz durch. Der stumme Geselle Matthias war so freundlich gewesen, ihre beiden Kinder wenigstens für eine Weile zu übernehmen. Mit Gesten hatte er Magdalena zu verstehen gegeben, dass er mit den beiden Kleinen Honig vom Klosterimker holen würde. Sie hoffte, dass er diesmal zuverlässiger war als die Nacht zuvor. Vermutlich waren die beiden Gören jetzt schon von Kopf bis Fuß mit Honig bekleckert.
    »Mittlerweile befinden sich in der Heiligen Kapelle wohl ein paar hundert Reliquien«, fuhr Simon nun begeistert fort, während er den Rindensud durch ein Sieb goss. Die halbe Nacht hatte er in der Andechser Chronik gelesen. Der Medicus war blass und hatte Ringe unter den Augen, aber wie so oft hatte ihn das Studieren alter Bücher in einen Zustand höchster Erregung versetzt. »Unter den Heil­tümern sind auch das Siegeskreuz Karls des Großen und das Brautkleid der heiligen Elisabeth«, berichtete er aufgeregt. »Doch das Wertvollste sind immer noch die drei heiligen Hostien! Die waren schon hier, als auf dem Berg noch eine Burg stand, und das ist schon viele Hundert Jahre her. Bei der Zerstörung der Burg wurden die Hostien dann mit den anderen Reliquien versteckt und tauchten erst viel später wie durch ein Wunder wieder auf. Seitdem liegen sie in jener Kammer. Gut verwahrt in einer silbernen, achtzehn Pfund schweren Monstranz, die allein vermutlich so viel wert ist wie ein Teil dieses Klosters.«
    »Was macht diese Hostien eigentlich so heilig?«, wollte Magdalena wissen, während sie weiter die klebrige Salbe auf die Tücher strich.
    Simon runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern. »Nun, zwei stammen offenbar von Papst Gregor dem Großen, der vor sehr langer Zeit auf ihnen Gotteszeichen entdeckt haben will. Später hat Papst Leo eine weitere Hostie hinzugefügt. Auf ihr soll das blutige Monogramm Jesu Christi erschienen sein. Seit der Klostergründung pilgern deshalb viele Tausend Menschen jedes Jahr hierher zum Dreihostienfest, um sich die Heiltümer zeigen zu lassen. Es heißt, Gott würde einen erhören, wenn man nur lang genug vor ihnen betet.«
    »So wie du das sagst, klingt es, als glaubst du nicht ganz daran«, erwiderte Magdalena schnippisch. »Sind wir nicht selbst nach Andechs gepilgert, um zu den Hostien zu beten?«
    »Ehrlich gesagt, fand ich vor allem die Vorstellung ver­lockend, mit dir allein, ohne die beiden Kleinen, eine ganze Woche zu verbringen. So wie früher.« Simon seufzte. »Und jetzt hab ich nicht nur die Kinder, sondern auch noch meinen mürrischen Schwiegervater am Hals.«
    »Bis jetzt hat mein Vater immer für alles eine Lösung gewusst«, erwiderte Magdalena lächelnd. »Sei froh, dass wir ihn haben.«
    »Vielleicht hast du ja recht.« Schlagartig hellte sich ­Simons Miene auf. »Wenigstens weiß ich jetzt ein bisschen mehr, was diese Krankheit angeht. Ich war heute früh noch mal im Apothekerhaus, um einige Arzneien zu holen. Der Prior und die Seinen haben wirklich alles auf den Kopf gestellt, um irgendwelche Hexenkräuter zu finden. Den Rest haben sie Gott sei Dank nicht angerührt.« Er grinste. »Ich habe in Nepomuks Schrank unter anderem Jesuitenpulver gefunden. Wirklich die beste Medizin, um Fieber zu senken! Allerdings reicht es gerade mal für eine Anwendung. Tja, und unter Nepomuks Büchern habe ich dann das hier entdeckt.« Der Medicus zog ein dickes, in Leder gebundenes Werk hervor. »Voilà! Dieser Wälzer stammt von einem gewissen Girolamo Fracastoro, und er beschreibt ziemlich genau die Symptome, die wir hier

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