Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
1666,
Schongau im Pfaffenwinkel
    reuzkruzifix! Nimm deine schmutzigen Saupranken von meinem allerheiligsten Mörser, bevor ich dich ohne Brei ins Bett stecke!«
    Der Schongauer Scharfrichter saß am Tisch der Henkersstube und versuchte seinen dreijährigen Enkel Peter daran zu hindern, die zerstoßenen Kräuter aus dem uralten Steintiegel zu essen. Zwar waren die Pflanzen nicht giftig, dennoch vermochte auch Jakob Kuisl nicht zu sagen, was eine Mischung aus Arnika, Johanniskraut, Bärwurz und Brennnessel mit dem Kleinen anstellen würde. Im harmlosesten Fall würde der Bub Durchfall bekommen, was den Henker angesichts der wenigen noch sauberen Leinenwindeln erschaudern ließ.
    »Und sag deinem Bruder, er soll die Hühner am Leben lassen. Sonst schlag ich ihm noch mal eigenhändig den Kopf ab!«
    Der gerade zwei Jahre alte Paul tapste durch das duftende Binsenkraut, das auf dem Boden unter dem Tisch lag, und streckte kieksend seine Ärmchen nach den Hennen aus, woraufhin diese wild gackernd durch die Stube liefen.
    »Himmelherrgottsakrament!«
    »Du darfst nicht so streng mit ihnen sein«, erklang plötzlich eine matte Stimme von der Schlafstatt in der offenen Kammer nebenan. »Denk an unsere Magdalena, als sie klein war. Wie oft hast du ihr gesagt, sie soll die Hennen nicht bei lebendigem Leib rupfen, und sie hat’s trotzdem getan.«
    »Und dafür jedes Mal eine anständige Tracht Prügel kassiert.«
    Grinsend wandte sich Jakob Kuisl seiner Frau zu. Doch als er sie so blass und mit Ringen unter den Augen im Bett liegen sah, wurde er sofort wieder ernst. Ein schweres Fieber plagte Anna-Maria Kuisl seit letzter Nacht. Wie ein kalter Wind war es über sie gekommen, und nun lag sie zitternd unter den dünnen Wolldecken und ein paar löchrigen Wolfs- und Bärenpelzen. Die Mixtur aus dem Mörser sollte ihr, mit heißem Wasser und Honig vermengt, ein wenig Linderung verschaffen.
    Jakob Kuisl sah sein Weib besorgt an. Die letzten Jahre waren an Anna-Maria nicht spurlos vorübergegangen. Sie ging mittlerweile auf die fünfzig zu, und obwohl sie immer noch eine schöne Frau war, hatten sich tiefe Falten in ihr Gesicht gegraben. Ihr einst so glänzendes schwarzes Haar war matt geworden und von grauen Strähnen durchzogen. Blass und in die vielen Decken eingewickelt, die nur ihren Kopf freiließen, erinnerte sie Jakob Kuisl an eine weiße Rose, die nach einem langen Sommer zu welken begann.
    »Versuch ein bisserl zu schlafen, Anna«, sagte der Henker sanft zu seiner Frau. »Schlaf ist immer noch die beste Arznei.«
    »Schlafen? Wie denn?« Anna-Maria Kuisl lachte leise, doch das Gelächter ging schon bald in ein Husten über. »Du brüllst herum, dass es Gott erbarmt«, brachte sie schließlich keuchend hervor. »Und die beiden Kleinen werfen unsere Steinguttöpfe vom Regal, wenn sie nicht jemand auf der Stelle daran hindert. Der Herr des Hauses sieht so was ja nicht.«
    »Was zum Teufel …«
    Tatsächlich hatte der kleine Peter sich darangemacht, hinter Kuisls Rücken auf die Ofenbank zu klettern und von dort aus nach dem Kompott vom letzten Herbst zu angeln. Gerade eben zog er sich an den grob gezimmerten Fichtenbrettern hoch und griff nach einem der Töpfe mit den eingemachten Kirschen. Das Gefäß entglitt seinen Fingern und landete krachend auf dem Stubenboden, wo sich sein roter Inhalt in alle Richtungen ergoss. Im Haus des Henkers sah es aus wie nach einer missglückten Hinrichtung.
    »Schau, Großvater, da ist Blut.« Mit großen Augen ­deutete Peter auf die Sauerei zu seinen Füßen, schließlich steckte er den Finger in die Pfütze und lutschte daran. »Gutes Blut.«
    Jakob Kuisl schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fluchte ein weiteres Mal. Schließlich packte er die beiden lautstark protestierenden Quälgeister kurzentschlossen am Schlafittchen und trug sie nach draußen in den Garten. Krachend schloss sich die Tür, und der Henker begann die matschigen Kirschen vom Boden aufzusammeln, wobei er sich von Kopf bis Fuß mit dem roten Saft besudelte.
    »Wollen hoffen, dass sie beide in den Brunnen fallen«, brummte er. »Saubande, vermaledeite.«
    »So was darfst du nicht sagen«, erwiderte seine Frau vom Bett aus. »Magdalena und Simon würden uns nie verzeihen, wenn den Kleinen etwas zustoßen würde.«
    »Magdalena und Simon!« Kuisl spuckte geräuschvoll in die Binsen. »Wenn ich das schon hör! Was müssen sich die beiden auch am Heiligen Berg herumtreiben. Eine ganze Woche lang!« Er schüttelte den

Weitere Kostenlose Bücher