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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Fenster­läden stieg Nebel vom Waldboden auf. Irgendwo in der Nähe meckerte eine Ziege. Trotz des beginnenden Sommers zitterte die Henkerstochter.
    »Dieser Juni ist der sakrisch kälteste, an den ich mich erinnern kann«, murrte sie.
    Ihr Vetter sah sie besorgt an. »Er mag kalt sein, aber so wie du ausschaust, kommt die Kälte eher von innen.« Schnell schlug er ein Kreuz. »Wollen nur hoffen, dass du dir nicht das verfluchte Fieber eingefangen hast, das zurzeit die Gegend heimsucht. Zwei Erlinger Bauern und eine Magd aus Machtl­fing hat der Schnitter diesen Sommer schon geholt.«
    »Was redest du da?«, schimpfte Simon. »Die Magdalena hat sich den Magen verdorben, weiter nichts. Ein wenig Anis und Gänsefingerkraut werden sie wieder auf die Beine bringen.«
    Verstohlen blickte der Medicus zu seiner Frau hinüber, die wieder unter die dünne, löchrige Woll­decke gekrochen war. Sie hatten zu dritt in der Stube geschlafen, der Schinder auf der harten Bank, Magdalena und Simon auf der wackligen Liegestatt in der Ofennische. Gedankenverloren nahm Simon einen Löffel von dem dampfenden Brei und schickte ein stilles Stoßgebet zum Himmel. Michael Graetz hatte recht. Seit Tagen schon sah Magdalena blass aus, dunkle Ringe lagen um ihre Augen. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht wirklich ein Fieber ausbrütete. Der Medicus wusste aus eigener Erfahrung, dass Menschen, die noch am Morgen über einen einfachen Schnupfen klagten, am Abend schon dem Tode nah sein konnten.
    »Ich werde dir einen Trank brauen«, sagte Simon, auch um sich selbst zu beruhigen, und nahm einen weiteren Löffel von dem Gerstenbrei. Er schmeckte erstaunlich gut, so süß und gehaltvoll wie ein teures Dessert für verwöhnte Ratsherren. »Eine Arznei aus Gänsefingerkraut, Anis, ­Kamille und vielleicht ein wenig Schöllkraut …«, murmelte er. Unsicher glitt sein Blick über die Einrichtung der Stube, die fast das gesamte Erdgeschoss des Schinderhauses einnahm. Er sah einen wackligen Tisch, zwei Schemel, ein Bett, eine alte Truhe und ein selbstgenageltes schiefes Kreuz in einer Ecke.
    »Ich nehme nicht an, dass du diese Kräuter hier im Haus hast?«, fragte Simon zaghaft den Schinder. »Getrocknet vielleicht, oder als Pulver zermahlen?«
    Michael Graetz schüttelte den Kopf. »Kamille wächst bei mir im Garten, aber der Rest …« Er zuckte mit den Schultern. »Seit meine Frau und meine zwei lieben Kinder vor drei Jahren an der Pest gestorben sind, leb ich hier ganz allein. Ich zieh den toten Kühen und Pferden die Haut ab und bring sie zum Gerber, unten in Herrsching am Ammersee. Ist ein weiter steiler Weg dahin. Da bleibt keine Zeit für mehr als ein paar Rüben und Kohl hinterm Haus.«
    »Lass gut sein«, sagte Magdalena. »Das wird schon wie der. Ich setz mich draußen auf die Bank in die Sonne und …«
    »Nichts machst du«, fuhr Simon dazwischen. »Du bleibst hier hübsch liegen, während ich die Kräuter hole. Fragt sich nur …« Sein Gesicht hellte sich schlagartig auf. »Natürlich, dieser hässliche Mönch von gestern Nacht! Hat er nicht selbst gesagt, dass er Heilkräuter sammelt? Ich werd hinüber zum Kloster gehen und ihn fragen. Ich brauch ohnehin noch ein paar andere Heilpflanzen. Der Andre Losch hat einen bösen Husten, und dem Lukas aus Altenstadt will seine entzündete Hand nicht heilen.« Er nahm einen weiteren hastigen Löffel von dem köstlichen Brei, dann strich er sich seine zerknitterten Kleider glatt und wandte sich zur Stubentür.
    »Wag nur nicht aufzustehen!« Mit gespielter Strenge hob Simon den Finger. »Ins Kloster kannst du später auch noch. Sei froh, dass du einen Bader hast, der sich unentgeltlich um dich kümmert.«
    »Jaja, ist schon gut, Herr Bader.« Magdalena ließ sich müde zurück auf ihr Lager fallen. »Und wenn du schon gehst, bring ein wenig Rosmarin und frische Binsen mit. In dieser Stube stinkt es wie im Inneren eines Pferdekadavers. Kein Wunder, dass mir schlecht ist.«
    Als Simon das Haus des Schinders verließ, stieg die Sonne gerade über die Wipfel des Kientalwalds. Tau dampfte auf den Wiesen rund um Erling, der Tag versprach angenehm warm zu werden. Auf den Feldern mähten die Bauern mit Sensen die kärgliche Wintergerste.
    Simon knöpfte sein Wams zu und stapfte den schmalen, vom nächtlichen Regen schlammigen Weg vom Waldrand hinüber zum Dorf. Das Jahr war bislang viel zu kalt gewesen, bis in den Mai hinein hatte es Frost gegeben. In den letzten Wochen waren dann etliche Unwetter mit

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