Der Highlander und der wilde Engel
Burghof von Mortagne eingeritten war, dachte sie bei sich, während sie die Stufen hinabschritt.
In der großen Halle herrschte, wie jeden Morgen, reger Betrieb. Die Tische waren fast vollständig besetzt mit Schmausenden, überall drängten sich Menschen, die entweder kamen oder gingen, Knechte und Mägde eilten mit Speis und Trank umher, und Gesprächsfetzen schwirrten durch die Luft, einige verhalten gemurmelt und andere quer durch die Halle gerufen.
Averill ließ sich auf dem Platz neben ihrem Vater nieder, schenkte ihm ein Lächeln und wünschte ihm leise einen guten Morgen, während einer der Bediensteten zu ihr trat und einen Becher Met sowie Brot und Käse vor ihr abstellte.
„Guten Morgen, mein Mädchen“, grüßte ihr Vater gut gelaunt. „Wie ich höre, ist der Schotte wach und munter.“ „Aye.“ Sie lächelte leicht und nickte. Kade war gestern zu weit vorgerückter Stunde zu sich gekommen, und die meisten Burgbewohner waren bereits zu Bett gegangen oder hatten sich zumindest schon zurückgezogen, als sie aus der Kammer getreten war und eine Magd ausfindig gemacht hatte, um Will zu benachrichtigen. Vermutlich war ihr Vater unter denen gewesen, die sich schon schlafen gelegt hatten.
„Das ist meine Tochter! Hast ihm wieder auf die Beine geholfen und ihn die ganze Zeit über gepflegt. Du bist ein gutes Mädchen, Averill. Jeder Mann sollte sich glücklich schätzen, dich zur Frau zu haben“, sagte er ernst und runzelte die Stirn. „Ich verstehe diese törichten jungen Gecken von heute nicht. Sie sollten wahrlich dankbar sein, dich zu bekommen, und doch wenden sie sich von dir ab, als habest du eine Seuche.“
Averill seufzte ob seines verständnislosen Tons. Er begriff es einfach nicht, und seine Enttäuschung ging ihr nahe. Sie räusperte sich. „Ich habe rotes Haar, Vater, und viele sehen darin das Zeichen des Teufels oder den Hinweis auf ein feuriges Gemüt, ein allzu freizügiges Wesen oder auch ... “ „Pah! “, unterbrach Lord Mortagne sie ungeduldig. „Närrischer Aberglaube. Das Haar deiner Mutter war von derselben Farbe, und sie war immer eine liebreizende, pflichtgetreue Gemahlin. Nie hat sie einen anderen Mann auch nur angesehen, und ganz gewiss war sie nicht böse oder heißblütig oder was immer noch an Unfug erzählt wird.“ „Aber da ist zudem das Mal auf meiner Wange“, fuhr sie fort, entschlossen, ihm endlich die Augen für das zu öffnen, was andere sahen. „Auch dieses halten einige für das Zeichen des Teufels.“
„Es ist ein winziges Muttermal, das wie eine Erdbeere aussieht“, wandte er wegwerfend ein. „Nicht größer als eine Erbse. Man sieht es ja kaum.“
Averill ging nicht darauf ein, sondern wartete Stattdessen mit ihrem letzten Makel auf - dem letzten zumindest, den sie ihm zu beichten wagte. „Ich stottere, wenn ich mich unbehaglich fühle, und das lässt mich wie eine Närrin dastehen. Und wenn ich einem dieser Männer gegenüberstehe, die du als Bewerber auserkoren hast, fühle ich mich immer unbehaglich.“
„Aye, zugegeben“, räumte er seufzend ein, da er dies schwerlich widerlegen konnte. Noch einmal seufzte er, dieses Mal tief. „Aber bei Verwandten und Freunden stotterst du nicht“, stellte er gereizt fest.
„Nay“, pflichtete sie ihm bei. „In deren Gegenwart fühle ich mich ja auch nicht unwohl oder bloßgestellt.“
„Wenn du in diesen Männern vielleicht Freunde statt Werber sehen könntest... “ Er verstummte, als er ihre zweifelnde Miene sah, fuhr dann jedoch unbeirrt fort: „Womöglich könnten wir dafür sorgen, dass du dich entspannst, ehe sie kommen. Damit du nicht stotterst.“
Noch immer blickte sie misstrauisch drein. „Wie das?“ Er dachte kurz nach und griff dabei geistesabwesend nach seinem Becher, hob ihn hoch, stutzte und starrte in das verdünnte Bier, das er bevorzugt trank. Seine Augen wurden groß, die Brauen schoben sich auf der furchigen, alten Stirn nach oben, und er gab einen Laut von sich, der davon kündete, dass ihm gerade etwas eingefallen war. „Du wirst etwas trinken! “
„Trinken?“, wiederholte sie verblüfft.
„Aye. Ein starker Tropfen raubt jedem Mann die Beherrschung und macht ihn redselig und gesellig. Warum sollte es bei dir anders sein?“
„Oh,Vater!“, rief sie entgeistert, doch der Gedanke hatte sich bereits in ihm festgesetzt, und er duldete keinen Widerspruch. Vermutlich hatte er ihren Einwand gar nicht gehört, denn er redete einfach weiter.
„Gleich beim kommenden Mal
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