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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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alles gut. Aber mir machte das trotzdem Angst, auch wenn es für dieses Gefühl in meiner Welt noch gar kein Wort gab. War das Leben selbst wichtiger, als wie man es lebte? Waren all unsere Erfahrungen, die Beziehungen, die wir geknüpft hatten, alle Erinnerungen, die wir in uns trugen, wertlos? Konnte man einfach alles austauschen, einen neuen Körper beziehen und unbeschwert weiterleben? Was war denn dann von uns selbst noch übrig? Der Mann im Film durfte leben, wenn auch als ein anderer, er hatte nur leise Ahnungen von seinem Leben vor der Verwechslung. Stell’ dir vor, das könnte mir passieren. Stell’ dir vor, irgend so ein dusseliger Geist macht einen Fehler, nimmt mir meinen Körper weg und steckt mich dann in Petras, Felicias oder – welch schrecklicher Gedanke – Ylvas Körper zurück. Dann müsste ich ihr Leben leben, nach der Schule zu ihren Familien nach Hause gehen, in ihre Wochenendhäuser fahren, ich hätte auch ihre Warzen am Fuß und ihre Fehler in den Mathearbeiten. Ich selbst hatte keine Fehler, und ich wollte auch nicht die der anderen.
    Manchmal verursachte diese Vorstellung solche Panik in mir, dass ich zu Mama aufs Sofa kroch. Obwohl sie sich immer aufregte. Sie saß da mit ihrer Zigarette, und manchmal war es mein Vorteil, dass sie zu kraftlos war am Ende des Tages. Sie ließ mich dann einfach dort sitzen, bis mich die Müdigkeit übermannte und mein Kopf auf ihren Schoß sank. Am Morgen erwachte ich dann unter der muffigen Decke, die nach Rauch stank. Auf meiner Wange konnte man den Abdruck des derben Stoffmusters des Sofas sehen, und mich fror, weil das Fenster zum Lüften weit aufgerissen war. Der Aschenbecher auf dem Tisch war ausgekippt und sauber, aber Mama hatte es nicht mehr geschafft, mich in mein Bett zurückzutragen. Was nicht schlimm war. Hauptsache, ich war ich, und ich hatte mein Leben.

»Ich habe keine Ahnung, wer du bist oder wo wir sind, aber ich muss hier weg. Sofort! Die sind jetzt mit mir auf dem Weg ins Krankenhaus, das hast du selbst gesehen. Du musst mir helfen, sonst sind sie schon angekommen.«
    »Es gibt nichts, was ich tun kann. Und du kannst auch nichts tun. Du kommst nicht zurück.«
    »Doch, ich muss! Hier ist etwas schiefgelaufen, das verstehst du doch – nicht wahr? Irgendjemand hat sich vertan, ich bin hier falsch.«
    »Ich kann verstehen, dass du das fühlst.«
    »Gar nichts verstehst du! Du kennst mich ja gar nicht. Sonst hättest du gewusst, dass ich das Sagen habe.«
    »Das hattest du auch. Du hast deine Wahl getroffen, Rebecka, und manche Entscheidungen trifft man nur einmal.«
    »Ich befinde mich in einem Albtraum, stimmt’s?«
    »Hast du das Gefühl?«
    »Wenn ich eine Therapie brauche, dann bezahle ich dafür. Antworte lieber auf meine Frage.«
    »Nein, das ist kein Albtraum.«

Ich schlief einfach nicht ein , obwohl ich mich dort, an diesem sonderbaren Ort, an dem ich mich befand, hinlegte, die Augen schloss und mir sagte, dass das alles ein übler Streich sein musste, den mir meine Phantasie spielte. Ich war überarbeitet, redete ich mir ein. Vielleicht war es ein Burn-out. Ich hatte meine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle, das war fürchterlich, doch es ließ sich heilen. Ein paar Wochen in einer Naturtherapie in Österlen, stille Spaziergänge und lange Gespräche mit einem verständnisvollen Therapeuten, die würden mich schon wieder hinkriegen. Ich musste nicht Schlange stehen, war nicht abhängig von den geizigen Beurteilungen der Krankenkassen. Meine Rechnung konnte ich selbst bezahlen und mir das Beste aussuchen, was es gab. Mikael würde mich hundertprozentig unterstützen. Er würde sich sofort bereit erklären, sich um alles zu kümmern, damit ich den Rücken frei hätte und mich darauf konzentrieren konnte, wieder gesund zu werden. Die Kollegen würden sich wahrscheinlich wundern, vielleicht würde jemand eine Karte schicken und gute Besserung wünschen. Aber das war unwichtig.
    Ich war fest entschlossen, diesen Platz im Schlaf zu verlassen und in meiner eigenen Wirklichkeit wieder aufzuwachen. Ich würde diesem Typen, wer auch immer er war – wahrscheinlich auch eine Ausgeburt meines stressgeplagten Hirns –, klarmachen, dass er völlig falschlag. Der Albtraum würde sich verabschieden, und ich würde erleichtert zur Kenntnis nehmen, dass das Leben weiterging. Dass ich eine Chance bekommen hatte, alles besser zu machen, so wie Scrooge in Dickens’ Weihnachtsmärchen. Voller Einsichten, wie ich mich bessern würde.
    Total

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