Der Himmel ueber Dem Boesen

Titel: Der Himmel ueber Dem Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman

Vom Netzwerk:

in Karren hier heraufgebracht und abgeladen … und der Pfarrer stand hier, genau da, wo ich jetzt stehe, und hat ihnen im Licht der Fackeln den letzten Segen gespendet. Könnt ihr euch das vorstellen?»
    Moira sagte nichts. Wahrscheinlich konnte sie es sich vorstellen, dachte Lol, und zwar in Farbe, samt den gequälten, vonPestbeulen entstellten Gesichtern und dem Krankheitsgestank. Plötzlich sah er es ebenfalls, wusste um die totale Ausgelaugtheit der Menschen, jenseits der Verzweiflung, jenseits des Mitleids, jenseits von Todesangst und Lebenshoffnung. Die Bilder waren so dicht und vollständig, dass es sich anfühlte, als hätte Moira sie ihm per Telepathie zugesandt.
    «Ist das dieselbe Epidemie, die auch in London gewütet hat?», fragte er.
    «Nur, dass sie in Ross zuerst war. Es war ein reicher Ort, selbst damals, aber die Straßen waren voller Unrat und Ratten. Die meisten reichen Leute haben die Stadt verlassen. Aber der Pfarrer ist geblieben, um die Kranken und Sterbenden zu segnen.» Sam wandte sich an Moira. «Hast du vielleicht schon mal von dem Mann gehört?»
    «Ich?»
    «Er hieß Pfarrer Price. Als die Pest ihren Höhepunkt erreicht hatte, in der dunkelsten Stunde, hat er alle Menschen aus der Stadt, die noch auf die Beine kamen, zu einer Prozession versammelt. Sie sind alle zusammen um fünf Uhr morgens mit verzweifelter Würde durch die Straßen der Stadt gezogen, haben Litaneien gesungen und den Herrn um Erlösung angefleht.»
    In einem der Häuser auf der anderen Straßenseite ging ein Licht an, wodurch der Friedhof noch dunkler wirkte.
    «Und sein Glaube wurde belohnt. Als an jenem Tag die Sonne aufging, so sagt man, war die Pest vertrieben.» Sam Hall ging die Stufen hinunter. «Und jetzt fragt ihr euch, warum ich euch das zeige, richtig? Na ja, wisst ihr, ich betrachte das ganze als Pest. Als Plage. Die große Plage des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Ich habe mir eine historische Darstellung dieses Pestkreuzes auf mein Briefpapier drucken lassen.»
    «Und bei dieser neuen Plage geht es um Stromleitungen?», sagte Lol.
    «Die Strommasten sind nur die sichtbaren Feinde.» Sam starrte in den bräunlichen Himmel. «Wenn wir all die Fernseh- und Satellitensignale sehen könnten, all die Radiowellen, die der Handys, des Polizeifunks, des Taxifunks – der Himmel wäre den ganzen Tag lang giftig schwarz. Wenn wir sie riechen könnten wie Abgase, würden wir uns alle zu Tode husten. Aber es ist viel subtiler. Die Signale schwirren durch unsere Atmosphäre, ohne dass wir sie sehen oder fühlen, und durch unsere Körper und unsere Gehirne. Sie sind der heimtückische Wind, der durch uns alle hindurchweht – durch Fleisch und Gewebe und Knochen.»
    Es klang wie eine vorbereitete Rede. Sam stand wieder auf dem Weg.
    «Ihr seht, ich bin von dem Kreuz weggegangen, bevor ich das alles gesagt habe. Ich bin kein Prediger, nur jemand, der innerlich schäumt, wann immer er ein zwölfjähriges Kind auf der Straße sieht, das einen Freund mit einem pinkfarbenen Plastikteil anruft, das ihm das Gehirn verbrennt.»
    «Was immer abgestritten werden wird», murmelte Moira.
    «Ja, klar. Je größer die Investition, desto heftiger wird es abgestritten. So wie die Stromindustrie die Untersuchung der Universität von Bristol bestreitet, die vor ein paar Jahren veröffentlicht wurde und in der Überlandleitungen mit Leukämie in Verbindung gebracht werden, mit Hautkrebs, Lungenkrebs – mit praktisch allen Krankheiten.»
    «Eine Plage für die gesamte Menschheit, hm?»
    «Allerdings. Und wir alle sind mitschuldig, selbst ich. Ich habe zwar die Erlaubnis bekommen, eine Windmühle zu betreiben, die sauberen Strom erzeugt für mein Haus oben auf dem Howle Hill. Ich habe kein Telefon und schon gar kein Handy. Aber wenn ich ins Internet will, gehe ich trotzdem immer noch runter ins Gemeindehaus und benutze einen von Codys Gemeinschaftscomputern. Ist natürlich total scheinheilig von dem Typ, der ja bloßversessen darauf ist, Underhowle zum Hotspot aller Hotspots zu machen.»
    «Hotspot?», sagte Lol.
    «‹Hotspot› ist der Begriff für eine gefährliche Konstellation von Transmittern, Mobilfunkmasten, was auch immer, die eine Gegend … sagen wir … riskant für die Bewohner machen. Cody hat seine Computeranlage nur durch Fördergelder für die Entwicklung des Ortes bekommen, und jetzt wollen sie … aber das wisst ihr ja alles.»
    «Ich bin nicht von hier», sagte Moira. «Ich weiß das alles nicht.»
    Sam