Der Himmel über Garmisch (German Edition)
Sie können doch wenigstens einen Arzt anrufen!«
»Damit die den Anruf hierher verfolgen? Kommt nicht in Frage. Bring sie rauf in mein Zimmer.« Carlo ging zur Tür und die Treppe hinauf.
Mit Hardys Unterstützung kletterte Burgl aus dem Kofferraum.
»Ich werde mich um den Arzt kümmern«, sagte Hardy.
»Dann machen Sie das. Sofort.«
Hardy nickte ergeben. Er suchte in seiner Jacke nach dem anonymen Prepaidhandy, das er für die Gespräche mit Silvia angeschafft hatte, und wählte die 112.
»Wie ist die Adresse?«, fragte er sie.
Sie nannte Straße und Hausnummer in Hechendorf. »Die Tür ist unverschlossen«, sagte sie.
Er gab die Angaben weiter, beantwortete ein paar Nachfragen, dann schaltete er das Gerät aus und nahm den Akku raus.
»Zufrieden?«, fragte er.
Sie lachte böse. »Total.«
»Kommen Sie«, sagte Hardy. »Es tut mir leid, aber ich muss Ihre Hände fesseln.«
***
Zettel pirschte an der Rückwand des Zeltes entlang, spähte um die Ecke und signalisierte dann freie Bahn. Schwemmer folgte ihr und versuchte, nicht zu humpeln.
»Im Wintergarten ist niemand. Ich schau, ob man irgendwie reinkommt. Sie bleiben hier. Eigensicherung beachten.« Sie zog einen kurzläufigen Revolver aus der Innentasche ihrer Windjacke und lief los.
Schwemmer lud die P7 durch. Zettel hatte ganz selbstverständlich das Kommando übernommen, und er stellte leicht verwundert fest, dass ihm das recht war.
Er lugte um die Ecke. Zettel versuchte die Tür zum Wintergarten, aber sie war verschlossen. Sie bewegte sich nach links und geriet aus seinem Sichtfeld. Er lief los, das hieß, er humpelte in Richtung Haus. Sie stand fünf Meter weiter an der Seitenwand des Gebäudeflügels zwischen zwei Fenstern und deutete zum ersten Stock hinauf. Ein kleines Fenster stand offen. Gebückt schlich er unter dem ersten Fenster her zu ihr hin.
»Helfen Sie mir«, sagte sie und steckte ihren Revolver ein.
»Warum schlagen wir nicht eine Scheibe ein?«, fragte er.
»Glasbruchmelder«, sagte sie nur.
»Wie wollen Sie da raufkommen?«
»Ich hab lange Freeclimbing gemacht.«
Er steckte seine Waffe ein, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und machte eine Räuberleiter. Ohne zu zögern, stieg sie an ihm hoch, bis sie mit beiden Füßen auf seinen Schultern stand. Verwundert registrierte er, dass der Druck schon nach wenigen Sekunden verschwand. Er sah hoch.
Zettel hing mit den Fingerspitzen ihrer Linken an einem Sims, der so schmal war, dass Schwemmer ihn gar nicht wahrgenommen hatte. Sie schwang nach rechts, hakte ihre Fußspitze ebenfalls in den Sims. Die halbe Sekunde, die sie in dieser Haltung verbringen konnte, reichte ihr, um mit der Rechten die Fensterbank zu greifen. Sie schwang zurück und brachte auch die Linke an den Vorsprung. Mit einem Stöhnen zog sie sich hoch und griff mit einer Hand in den Fensterrahmen. Nun presste sie die Füße gegen die Wand und wuchtete sich nach oben, bis sie auch mit der anderen Hand in den Rahmen fassen konnte. Ihre Fußspitzen standen auf dem Sims. Sie lugte in das Fenster, dann sah sie zu ihm herab.
»Keiner drin. Ich lass Sie rein«, sagte sie und verschwand kopfüber im Fenster.
***
»Hallo, Schwesterherz.«
Ula fuhr herum. Reagan stand in der Tür des Kaminzimmers, in der Hand eine Halbautomatik. Sein Begleiter drückte Mario eine Waffe in den Nacken. Mario hatte die Hände gehoben und wirkte eher beleidigt als verängstigt. Der Mann mit der Waffe war Toni Zachl, dem sie mit Hardy in Vils einen Besuch abgestattet hatte. Die Pistole in seiner Hand wirkte, als sei sie zu groß für ihn.
Marshall Stevens drehte sich mit einem Ächzen in seinem Sessel zu ihnen um. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er Ula. »Hat Hardy die etwa reingelassen?«
Reagan verschob seinen gebrochenen Kiefer zu einem schiefen Grinsen. »Braucht er nicht. Ich hab einen Schlüssel«, nuschelte er.
»Was sollen die Waffen?«, fragte Ula.
»Ihr habt doch auch welche.« Er knöpfte Mario das Sakko auf, zog ihm die Pistole aus dem Holster und steckte sie hinter seinen Gürtel.
»Du störst, ist dir das klar?«, sagte Ula.
»Das ist durchaus meine Absicht. Ich will wissen, was hier los ist.«
»Ich versuche, eine Lösung für die Probleme zu finden, in die ihr uns geritten habt, du und dein Bruder.«
Reagan lachte ächzend. »Du? Du suchst nach Lösungen. Wieso du? Hast du jetzt auf einmal was zu melden in der Familie?«
Ula sprang auf und ging auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb sie stehen.
»Ja!«,
Weitere Kostenlose Bücher