Der Himmel über Garmisch (German Edition)
leise auf. Nur wenig Licht kämpfte sich an den dunkelgrünen Vorhängen vorbei, aber es reichte ihm, um seine Sachen und den Weg aus dem Zimmer zu finden. Silvias Schnarchen hielt seinen Rhythmus. Auch durch die geschlossene Tür war es noch wahrzunehmen. In der Diele stieg er in seinen Anzug. Strumpfsockig ging er zur Haustür, erst dort zog er seine Schuhe an und trat in den anbrechenden Morgen hinaus. Es war noch früh und dunkel genug, um unbemerkt von den Nachbarn aus dem Haus zu kommen. Er zog die Tür so leise wie möglich hinter sich zu, aber als er die drei Stufen zum Vorgarten hinablief, schaltete ein Bewegungsmelder eine grelle Lampe über der Tür an.
Sei’s drum, dachte er.
Silvia hatte ihm gesagt, dass sie ihr Verhältnis zunächst lieber für sich behalten wollte. Sie rechnete bei den meisten ihrer Bekannten nicht mit uneingeschränktem Verständnis für so eine Affäre. Aber er hatte auch ein eigenes Interesse daran, das Verhältnis einer Polizeimitarbeiterin zu dem vorbestraften Mitarbeiter eines unter Verdacht stehenden Großgastronomen aus der Öffentlichkeit zu halten. Als Quelle war sie gut genug, um sie zu behalten. Sie waren mit dem Taxi hergekommen, sein Wagen stand noch vor dem Restaurant in der Partnachstraße. Er ging zügig durch die Brandstraße und hoffte, auf der Zugspitzstraße ein Taxi zu erwischen, aber er hatte kein Glück. Erst in der Von-Brug-Straße fuhr ein freier Wagen an ihm vorbei, aber da lohnte sich ein Taxi schon nicht mehr.
Zwei Minuten später stieg er in seinen A6. Während er durch den langsam erwachenden Ort rollte, ordnete er im Kopf die Informationen, die Silvia ihm gegeben hatte.
Sie redete gern über ihre Arbeit und gern über ihren Chef, den sie hasste. Über Polizeidirektor Hessmann redeten auch andere nichts Gutes – Leute, die es wissen mussten. Leute von beiden Seiten des Gesetzes. Es konnte nicht schaden, mehr über ihn zu erfahren, auch wenn es nur Details waren. Und nun war Silvias alter Chef wieder aufgetaucht, der mittlerweile beim LKA war und den sie liebte und verehrte.
Interessant daran war der Grund für sein Auftauchen. Ein Mord in einer Crystal-Küche. Garmisch gehörte nicht zum direkten Betätigungsfeld der Unterwexlers. Hier operierte eine der russischen Gruppen. Aleko Parashvili kannte die Leute und hatte davon abgeraten, sich mit ihnen anzulegen. Aleko und Carlo hatten mit der Gruppe eine Art Nichteinmischungspakt geschlossen. Auch wenn das natürlich nichts war, auf das man sich verlassen konnte, funktionierte es seit zwei Jahren ganz ordentlich.
Aber es war nicht sehr wahrscheinlich, dass ausgerechnet die Russen damit anfingen, ihr Meth hier vor Ort herzustellen. Sie hatten die Versorgungswege aus Tschechien unter Kontrolle. Es machte eigentlich keinen Sinn für sie, so ein Risiko einzugehen, das nur schwer kalkulierbar war.
Und wenn das Labor nicht den Russen gehörte, würden sie sich Gedanken machen, wer da in ihr Revier eingedrungen war. Dass Carlo Unterwexler seit anderthalb Monaten in Garmisch war, könnte sie dazu bringen, nach Verbindungen zu suchen. Es war schwer abzuschätzen, was passieren würde.
In der Einfahrt der Villa stellte er den Motor ab, aber er blieb erst einmal im Wagen sitzen. Nachdenklich sah er zu Carlos Balkon hinauf. Falls die Russen hart reagierten, konnte Carlos Zustand zum Problem werden. Wahrscheinlich war es besser, ihn nicht zu behelligen, solange alles nur Spekulation war. Hardy beschloss, die Sache für sich zu behalten, bis er mehr wusste.
Er stieg aus, zog die Zeitung aus der Röhre am Tor und ging die Treppe zum Eingang hoch. Das Haus war still und dunkel. In der Küche machte er die Kaffeemaschine fertig und blätterte die Zeitung auf. Die Polizeiaktion im Wald über dem Ort war kein Thema mehr. Die Bullen schienen wenig Interesse an Öffentlichkeit zu haben. Vielleicht hatten sie aber auch einfach nichts zu erzählen.
Als er sich den ersten Becher Kaffee eingeschenkt hatte, stand Marie in der Tür. Sie lächelte und trat hinter ihn. Den Kopf in den Nacken gelegt, spürte er den Berührungen ihrer Hände auf seinen Schultern und ihrem Atem in seinen Haaren nach.
***
»Was genau war da mit der Zettel?«, fragte Schwemmer.
Er saß Schafmann gegenüber in dessen Büro und nippte an dem heißen Kaffee. Frau Fuchs hatte ihn tatsächlich in seinem alten Becher kredenzt, dem mit dem Wappen des SC Riessersee. Auf dem Tisch lag eine Kopie von Grellmayers Bericht, nicht sehr
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