Der Himmel über Garmisch (German Edition)
allem ferngehalten, was in der Inspektion passiert«, sagte er. »Dass sich einiges verändert hat, das merke ich gerade. Von der Anzeige gegen Sie hab ich gehört und von Ihrer Kündigung, das war’s aber auch. Ich würde die Geschichte gern hören. Von Ihnen. Aber nur, wenn Sie wollen, natürlich.«
»Wollen … klar will ich. Aber die Erfahrungen der letzten Monate … Sie müssen verstehen, die waren nicht gut.«
»Ich kenne Ihre Erfahrungen nicht, leider.«
»Das braucht Ihnen nicht leidzutun … Ehrlich gesagt hatte ich schon das ein oder andere Mal daran gedacht, Sie um Rat zu fragen. Aber Sie haben sich so entschlossen verabschiedet damals, dass ich Sie lieber nicht belästigen wollte.«
Schwemmer gestand sich ein, dass das genau seinen Wünschen entsprach, und es wurde ihm noch einmal klar, dass er sich, dienstlich gesehen, auf dünnes Eis begab. Aber er musste wissen, was passiert war, schon um abschätzen zu können, wie dünn das Eis tatsächlich war.
»Dass Sie gekündigt haben, nehme ich ein bisschen persönlich«, sagte er mit einem Lächeln. »Also nicht, was Sie betrifft, aber dass unsere Behörde es nicht schafft, jemanden im Dienst zu behalten, auf den ich so große Stücke gesetzt habe – das ist eine Niederlage.«
»Danke.« Sie lachte auf. »Aber wenn Sie das schon für eine Niederlage halten …«
Ihre Getränke wurden gebracht. Zettel deutete ein Anstoßen an und nahm einen Schluck Bier, während Schwemmer noch in seinem Kaffee rührte.
»Geht mich vielleicht nichts an«, sagte er, »aber ist es nicht noch ein bisschen früh für ein Weißbier?«
»Geht Sie wirklich nichts an, und ja, das ist es. Aber im Moment kann ich meine Nerven nicht alleine lassen. Bier ist da immerhin besser als Valium.«
»Kann man so sehen …«
»Schließlich arbeite ich nicht.«
»Wovon leben Sie?«
»Ein bisschen was hab ich auf der Seite, das reicht ein paar Monate. Aber wenn wir demnächst umziehen, werde ich mir irgendwas suchen müssen. So eine günstige Wohnung wie im Moment finde ich natürlich nicht wieder.«
»Wieso müssen Sie umziehen?«
»Mein Verlobter kommt die Treppe nicht rauf. Er sitzt im Rollstuhl.«
»Oh … verstehe. Ich wusste gar nicht, dass Sie verlobt sind.«
»Ich hab’s damals nicht so an die große Glocke gehängt. Das Gerede in der Inspektion wollte ich mir ersparen.«
»Gerede? Wegen seiner Behinderung?«
»Nein. Weil er schwarz ist.« Sie starrte den Tisch an. Ihre Augen sprühten Funken. »Außerdem war er da noch nicht behindert«, sagte sie und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas.
Schwemmer wartete, aber sie sprach nicht weiter. Er räusperte sich. »Seit wann sind Sie denn verlobt?«
»Ein gutes Jahr.«
»Dann haben Sie es mir auch verheimlicht. Wäre nicht nötig gewesen. Ich hab nichts gegen Schwarze.«
»Aber?«
»Was, aber?«
»Der ganze Satz lautet doch: ›Ich hab nichts gegen Schwarze. Aber! ‹«
»Frau Zettel, das ist unfair. Das hab ich nicht gemeint.«
»Unfair? Von Fairness hab ich auch nichts gespürt. Und Théo erst recht nicht.« Sie zeigte aus dem Fenster. »Die Leute hier hängen sich Poster ins Fenster: ›Wir sind Sarrazin‹.«
»Das heißt nicht, dass sie Rassisten sind.«
»Nein! Das sind keine Rassisten. Die haben nichts gegen Schwarze, aber. Was glauben Sie, was wir uns so angehört haben, in der Zeit? Und immer nur von hinten.«
Schwemmer begann zu verstehen, woher die tiefen Falten neben ihrem Mund kamen.
Sie vermied es, ihn anzusehen. »Es schien mir damals jedenfalls besser, den Kollegen nichts von Théo zu erzählen. Und heute scheint es das erst recht.«
»Was ist denn passiert?«
»Théo ist zusammengeschlagen worden. Auf dem Parkplatz am Eisstadion. Nachts, von Discobesuchern. Vier gegen einen. So viel zur Fairness. ›Haut’s den Drecksneger tot‹, haben sie geschrien. Und fast haben sie es geschafft.«
»Oh …«
»Er hat eine Woche im Koma gelegen. Über sechs Wochen hat’s gebraucht, bis er auch nur im Rollstuhl sitzen konnte.«
»Wie geht es ihm jetzt?«
»Er ist noch in der Reha. Irgendein Kaff in Thüringen, an der Werra. Fast sechs Stunden Fahrt.« Sie zog die Nase hoch. »Sie glauben nicht, dass er wieder wird gehen können.«
»Mein Gott.« Schwemmer beugte sich vor, um ihre Hände in seine zu nehmen, aber dann schien es ihm doch unangebracht. Verlegen griff er nach seinem Kaffee. »Was soll ich sagen«, murmelte er.
»Wir wollten heiraten. Nur zwei Wochen später. Es war
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