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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vor lauter Aufregung seine Fellmütze vergessen, und er spürte, wie seine Ohren steif und gefühllos in der Kälte wurden.
    »Was soll das, Igor Igorowitsch?« rief er, noch bevor er die Gruppe der Männer erreicht hatte, die neben dem Brunnen stand.
    »Das frage ich dich!« Semjow grinste breit. Habe ich dich, du deutscher Hund, dachte er zufrieden. »Wo sind die beladenen Wagen? Wo ist das Vieh … pro Kopf eine Kuh und zwei Hühner? Wo sind eure Weiber und Kinder? In einer Stunde geht es ab!«
    Bergner ballte die Fäuste. Er sah zu Pondrezkij hinüber, aber dieser las in langen Listen und faßte die ganze Sache rein bürokratisch auf. Er war Beamter … alles andere lag außerhalb seines Interessenbereiches.
    »Wir haben nicht gedacht, daß durch den Schnee …«
    »Gedacht!« Semjow wedelte mit beiden Händen durch die eisige Luft. »Ihr habt nicht an den Fortschritt geglaubt! Was geht uns der Schnee an, Genosse?! Wenn Moskau sagt: Am 15. Oktober geht es los … dann geht es los, Brüderchen!« Er sah sich um. Das Dorf ertrank im Weiß … nur der Rauch aus den niedrigen Schornsteinen verriet, wo Hütten standen. »Ihr habt nicht gepackt, Genosse?«
    »Nein!«
    »Traurig. Sehr traurig!« Igor Igorowitsch schnalzte mit der Zunge. »Dort warten eure Nachfolger. Gute Russen. Echte Russen! Verdiente Kommunisten aus dem ganzen Land. Bauern, Kolchosenleute, Jungkommunisten, Landarbeiterbrigaden, sogar ein ›Held der Arbeit‹ ist dabei! Sollen sie in der Kälte warten und erfrieren, nur weil ihr deutschen Hunde zu faul wart, die Wagen aufzupacken?« Semjows Stimme quoll auf … sie war Brüllen und Jubel in einem. »In einer Stunde marschieren wir ab! Wer dann nicht fertig ist, kann an der Grenze von Nowy Wjassna verrecken!«
    »Ich werde es nach Moskau melden!« schrie Bergner zurück. »Wir haben jetzt als Deutsche ein Recht, vernünftig behandelt zu werden.«
    »Scheiße habt ihr«, sagte Semjow genußvoll. »Ihr könnt euch beschweren, wenn ihr Deutschland erreicht habt. Wenn , Brüderchen. Bis ihr dorthin kommt, bin ich eure einzige Beschwerdestelle.«
    »Du wirst uns heil und gesund nach Shitomir bringen müssen. Man erwartet uns in Deutschland.«
    »Es gibt keine Listen. Nur ungefähre Zahlen. Wir waren nicht so dumm, Zahlen zu nennen. Wir rechnen immer mit einigen Ausfällen.« Igor Igorowitsch leckte sich über die Lippen. Er bereute es sofort, denn der Speichel erfror fast auf der Zunge. »Es würde nicht auffallen, wenn Nowy Wjassna verschwindet. Es hat es einfach nicht gegeben, Brüderchen … wer will's uns nachweisen?« Er schlug die Arme gegen seinen dicken Körper. Die Kälte drang sogar durch seinen Fuchspelz. »In einer Stunde – ich warte nicht länger.«
    Was ist eine Stunde, wenn man eine Heimat verlassen soll, in der man 174 Jahre lebte? Was sind läppische 60 Minuten, wenn das Gepäck eines neuen Lebens zusammengerafft, gesichtet, überlegt und verschnürt werden muß? Was sind 3.600 Sekunden, wenn an ihnen das ganze Leben hängt.
    3.600 mal tick-tack. 3.600 Herzschläge, wie rasend, wie irrsinnig, wie unbegreiflich schnell sind sie geschlagen.
    3.600 Sekunden zwischen Ende und Anfang.
    Während von den Lastwagen die Möbel und Betten, die Säcke und Kisten, die Truhen und Kartons der neuen Dorfbewohner abgeladen und vor den Häusern in den Schnee gestellt wurden, packten die Deutschen im Innern der Häuser ihre Habe.
    Fünfzig Pfund Gepäck. Mehr nicht. Eine Kuh … wie sollte diese Kuh jemals in dieser Kälte, durch diesen Schnee, über dieses Eis nach Shitomir kommen, wo die Eisenbahnwagen standen?
    Vera Petrowna Bergner stand in der Mitte des großen Zimmers. Ihre Augen waren leer, ihr Gesicht war leer, ihr Herz war leer. Sie empfand nichts mehr als Leere. Mischa, der Krüppel, saß auf einem Stuhl und greinte, Erna-Svetlana drückte ihr fünfjähriges Näschen gegen die Scheibe und bewunderte mit weiten Augen die Schätze, die man draußen vor dem Haus in den Schnee stellte.
    »Sie haben einen Kinderwagen, Mamuschka!« rief sie mit ihrer hellen Stimme. »So, wie er im Katalog des Kaufhauses von Shitomir stand. Einen richtigen Kinderwagen mit einem Dach darüber …«
    Rudolf Bergner kam in das Zimmer. Er schleppte einen Sack mit Bettzeug hinter sich her. Schweiß stand auf seiner Stirn.
    »Noch fünfunddreißig Minuten, Veraschka! Er nimmt Rache, dieser Hund von Semjow. Piotr war bei ihm und bettelte ihn um noch eine Stunde an. Er wurde ins Gesicht geschlagen! ›Noch fünfunddreißig

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