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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte er breit. »Dann könnt ihr auch die Schilder lesen, was? Auf ihnen stehen die Namen eurer Nachfolger. Stalin schenkt ihnen eure Höfe! So belohnt man gute Bolschewisten.«
    Er stieg in seinen Wagen, die drei Burschen aus Shitomir klemmten sich hinter ihm auf den Rücksitz. Semjow sah in die harten, stummen Gesichter der Bauern. Er würde aufatmen, wenn er aus Nowy Wjassna wieder herausgefahren war.
    »Sie kommen in drei Wochen, liebe Deutsche! In drei Wochen müßt ihr 'raus sein!«
    »Das ist unmöglich!« schrie einer aus der Menge.
    »In Moskau ist nichts unmöglich«, sagte Semjow und fuhr schnell ab.
    *
    Mitte Oktober – es hatte zum erstenmal in der Nacht geschneit, und Bergner sagte zu Vera Petrowna, als er aus dem Fenster blickte: »So, jetzt haben wir Zeit bis zum Frühjahr«, kam der Befehl, die Sachen zu packen.
    »Sie sind verrückt geworden!« rief Peter Borweck, ein großer Bauer vom Rande Nowy Wjassnas. »Wir haben im Dorf fünfzehn Säuglinge und dreißig Kinder unter zehn Jahren! Sollen die alle erfrieren, wenn die Novemberstürme kommen? Rudolf, du mußt mit Igor Igorowitsch sprechen.«
    »Ich werde nicht mehr sprechen«, antwortete Rudolf Bergner. »Ihr habt mich bald erschlagen, als ich aus Shitomir zurückkam, um zu betteln, hierbleiben zu können. Ihr hattet den ›Völkischen Beobachter‹ und die Rundschreiben in der Hand und nanntet mich einen Lumpen. Jetzt seht, wie ihr zurechtkommt!«
    Er wandte sich um und ging.
    »Du hast doch selbst zwei Kinder!« schrie ihm Borweck nach.
    Die habe ich, dachte Bergner. Aber ich bringe sie durch. Sie haben mich gezwungen, die Hand zu heben und Heil Hitler zu rufen, mitten auf der Dorfstraße. Ich hasse sie alle! Ich hasse sie deswegen, weil sie mich in diesen Minuten lehrten, mich zu schämen, daß ich ein Deutscher bin.
    Er zog den Kopf ein und ging weiter durch den aufkommenden Schneesturm seinem Haus zu.
    In der Nacht heulte es durch das Dorf. Die Sümpfe am Pripjet froren ein, von Norden kamen die ersten Eisschollen den Bug hinabgeschwommen … noch klein, vereinzelte dünne Absprengsel einer sich bildenden Eisdecke, die schneller, als man glauben konnte, nach Süden weiterzog und die Flüsse zu festen Straßen werden ließ. Ein Eis, so dick, daß man in Sibirien sogar die Zugstrecken abkürzte und die Gleise über die zugefrorenen Seen legte.
    Hirten, die mit den letzten Rindern ins Dorf zogen, hatten bei Jemiltschin die ersten Wölfe gesehen. Noch Einzelgänger und nicht hungrig … aber sie zogen schon wieder. Es war nicht zu leugnen, daß der Winter kam.
    Aus Shitomir erschien ein Kommissar mit drei Helfern. Er kam in einer großen Moskwa-Limousine, trug einen dicken Pelz aus Rotfüchsen und war ein wenig asthmatisch. Ausgerechnet in der stolowaja quartierte er sich ein und baute sein Büro vor der Doppelwand mit dem verborgenen Altar auf.
    Jeden Tag hängte er ein neues Schild an die Tür … acht Tage hintereinander.
    Familien-Registrierung.
    Vieh-Registrierung.
    Hausbestandsaufnahme.
    Vermögensberechnung.
    Entschädigungsansprüche.
    An diesem Tag geschah es. Oder vielmehr in der Nacht.
    Während Sergeij Pondrezkij, so hieß der Kommissar, kurzatmig auf seinem Feldbett lag und unter Decken und Fellen schlief, begannen in der nachtdunklen, stillen stolowaja merkwürdige Töne aufzuklingen.
    Eine Glocke läutete.
    Sergeij Pondrezkij richtete sich auf und sah sich um.
    Alles war still, nur das Schnarchen seiner drei Gehilfen zerriß die Dunkelheit. Kopfschüttelnd rollte er sich auf die andere Seite und schloß die Augen.
    Da – er schnellte empor. Wieder die Glocke! Doch kaum saß er, war es vorbei, so, als habe es nur in seinem Kopf geklungen.
    »Job twoje madj«, sagte Pondrezkij und legte sich auf die rechte Seite. Ich habe es am Herzen, dachte er. Wenn ich links liege, kommen mir Halluzinationen.
    Doch Kommissar Pondrezkij schien sehr stark zu sein. Denn auch die rechte Seite reagierte auf Halluzinationen … das Geläut einer Glocke flatterte Sergeij durch das Gehirn und ließ seine Nerven mitschwingen.
    »At da tschort!« (Hölle und Teufel) brüllte er. Er riß die Decken fort, warf den Pelz auf den Boden und sprang von seinem Feldbett. Er rüttelte seine drei Gesellen wach, und als sie schlaftrunken in seine Taschenlampe blickten, ohrfeigte er sie. »Hier läutete eine Glocke!« schrie er.
    »Njet«, sagte einer der Gehilfen.
    »Ich habe es dreimal gehört, du Schnarchbulle!« brüllte Pondrezkij. »Dreimal! So oft kann man

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