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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Boden in den Lachen von Urin faulte.
    Die Deutschen bissen die Zähne zusammen. Es gab keine Beschwerdestellen, es gab kein Verständnis, keine Hilfe … die einzigen, die halfen, waren vierzehn deutsche Ärzte und fast dreißig Krankenschwestern, die von Wagen zu Wagen gingen und an Kranke und Schwache die russische Depot-Medizin verabreichten, von der keiner wußte, wie lange sie in den Lagern gelegen hatte und ob sie überhaupt noch wirksam war.
    Erst hinter Kowel änderte sich das.
    In Kowel mußten alle die Wagen verlassen. Es wurde neues Stroh ausgegeben, die Wagen wurden gereinigt, man konnte sogar baden, die Sauna besuchen und sich entlausen lassen. Mit der Gründlichkeit der russischen Parteiorganisation standen vierzig Friseure zur Verfügung … sie schnitten die Haare, rasierten, stutzten die Bärte, zogen nach alter Feldscherart schmerzende Zähne. Man brachte die Deutschen auf Hochglanz … es sollte ein Propagandaschlag gegen die deutsche Presse werden: Seht, so gut genährt und gepflegt lebten bisher die Deutschen unter Stalin.
    Nur Mischa, der Krüppel, brauchte keine Frisur und keine Banja mehr. Er wurde in Kowel ausgeladen, zusammen mit dem fauligen, stinkenden Stroh. Zwischen Shitomir und Kowel war er eingegangen, so, wie ein Licht verflackert, wenn Wachs und Docht niedergebrannt sind.
    Vera Petrowna und Rudolf Bergner merkten es erst am Morgen. So still und unauffällig war er gestorben. Die kleine Erna-Svetlana lag noch neben ihm und schlief. Sie hatte ihr Ärmchen über das starre Gesicht des Toten gelegt … wenn sie zusammen schliefen, lagen sie oft so umarmt.
    Es war, als bräche Vera Petrowna auseinander. Sie schrie nicht … um Erna-Svetlana nicht zu wecken. Aber sie sank neben das weiße Antlitz Mischas auf die Knie, drückte ihr Gesicht in das stinkende Stroh, wühlte sich mit dem Kopf neben den Toten und weinte, so haltlos, so wegfließend im Schmerz, daß ihre Knie nachließen und sie lang ausgestreckt neben dem toten Kind lag und sich schüttelte wie in Krämpfen.
    »Mischaka!« schrie sie in das Stroh. »Moj angel! Moj medwjädika!« (Mein Engel! Mein Bärchen) Sie streichelte über sein schon eiskaltes Gesicht und begriff nicht, wie es geschehen konnte.
    Vorsichtig richtete Rudolf Bergner seine Frau auf. Ihre Augen waren leer und groß, unnatürlich geweitet. Ihr schöner Mund stand offen, als hätte der Schrei ihre Kiefern auseinandergepreßt und ausgerenkt.
    »Er hat ausgelitten«, sagte Bergner stockend. Die Worte würgten in seiner Kehle, er rang nach Luft. »Er wäre nie ein erwachsener Mensch geworden …«
    »Aber er war so glücklich, daß er lebte …«, stammelte Vera Petrowna. »Er wollte nie sterben –«
    Als Mischa in Kowel ausgeladen wurde, war Erna-Svetlana weggebracht worden in den Nebenwagen. Vera Petrowna umklammerte den kleinen toten Körper und schrie, als man ihn ihr aus den Armen riß.
    »Ihr Hunde!« brüllte sie. »Ihr Mörder! Ihr wilden Tiere! Ihr Wölfe! Gott strafe euch! Gott strafe euch!«
    »Gott!« Die sowjetischen Soldaten, die den Güterbahnhof absperrten und die neugierigen Russen wegdrängten, lachten laut. »Grüß deinen Gott in Deutschland von uns, Mütterchen.« Und während Vera Petrowna um sich schlug und zusehen mußte, wie man ihren kleinen Mischa auf einen Karren warf, zwischen Kuhmist und Abfälle, so, wie man eine verfaulte Wurzelknolle wegwirft, tätschelten ihr die gröhlenden Soldaten die Hüften und kniffen sie in die starke Brust. »Bist ja noch jung, Mütterchen«, lachten sie. »Kannst noch zehn Kinder haben!«
    Rudolf Bergner befreite sie aus dem Kreis der Soldaten und führte sie zum Wagen zurück. Dort hockte sie in der Ecke neben den Transportkörben mit den übriggebliebenen Hühnern und stierte vor sich hin.
    Sie sprach kein Wort, bis sie sich der polnischen Grenze näherten. Eine Delegation deutscher Parteifunktionäre, an der Spitze ein Bereichsleiter der NSV und ein Beauftragter des ›Deutschtums im Ausland‹ empfingen den langen Gütertransport mit Fahnen und großen Kesseln heißen Kaffees.
    Da erst sagte sie das erste Wort. »Sie haben ihn mit dem Mist weggefahren«, sagte sie leise. Über Bergners Rücken zog ein Frieren.
    »Wir müssen es vergessen, Veraschka«, sagte er mit fast brechender Stimme. Er setzte sich neben sie in die Ecke und ergriff ihre Hände. »In einer Stunde beginnt unser neues Leben. Wir wollen es anpacken, nicht es wegwerfen. Denn das Leben geht ja weiter, Veraschka. Und wir haben ja noch

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