Der Himmel über Kasakstan
Stephan?«
»Nur eine Meldung –«
»Etwas Böses?«
»Geh in die Küche, Weib!« schrie Konjew erregt. »In Moskau hat man einen Wolf mit zwei Köpfen entdeckt und weiß noch nicht, welcher Kopf beißt …«
*
Olga Puronanskija fühlte sich durchaus nicht wohl, als sie zu der Ärztin Kapitän Wanda Kolzwoskaja gerufen wurde.
»Was will sie von mir?« forschte sie den alten Stephan aus. »Was hat sie gesagt?«
»Nichts«, sagte der alte Sanitäter. Er hustete heftig und spuckte blutigen Schleim in die Ecke der Waschhalle. Tuberkulose, hatte er schon vor einem halben Jahr festgestellt und war zu der Kolzwoskaja gerannt. Mit dem Satz: Wir sind hier kein Erholungsheim, sondern ein Straflager! – war er aus dem Ordinationszimmer geflogen. Nun beobachtete er sich mit einem fast wissenschaftlichen Interesse und wunderte sich, wie lange ein 68jähriger Mann mit einer offenen Lunge weiterleben konnte.
»Sie muß doch 'was gesagt haben«, bohrte die Puronanskija weiter.
»›Das Aas soll kommen!‹ hat sie gesagt.«
»Und?«
»Nichts!«
Olga betrachtete den alten Mann. Sie überwand sich, weder seine Körperausdünstung zu riechen noch an seine Tuberkulose zu denken und an die gelbe welke Haut, die seinen Körper überspannen mußte.
»Du kannst eine Nacht bei mir bleiben, wenn du mir alles sagst«, lockte sie. Der alte Stephan betrachtete das dicke Weib und hob die Schultern.
»Ich weiß trotzdem nicht mehr.«
So kam Olga Puronanskija zu Wanda Kolzwoskaja, ein wenig schüchtern, ein wenig ängstlich und vor allem äußerst vorsichtig.
Die Ärztin saß auf einer Kante des Tisches, als Olga in das Zimmer trat. Sie hielt ein blitzendes Instrument in der Hand, einer Geburtszange ähnlich, mit großen, schaufelförmigen Enden. Verwirrt und plötzlich voller Angst starrte Olga auf das unheimliche Instrument.
»Was spricht man da im Lager der Soldaten von dir?« sagte die Kolzwoskaja und ließ die Zange auf und zu klappen. Es gab einen metallischen, schnappenden Laut, der Olga durch alle Glieder fuhr.
»Was soll man sagen, Kapitän?« fragte sie heiser.
»Du sollst die Syphilis haben? Stimmt das?«
»Eine Verleumdung ist das!« schrie die Puronanskija. »Wer hat's gesagt?! Ich erwürge ihn!«
»Wir haben sieben neue Fälle ins staatliche Hospital nach Ust-Kamenogorsk schicken müssen. Man will dort wissen, wo die Infektionsquelle sitzt.«
»Ich bin es nicht!« schrie Olga wieder. Sie wich zurück, als Wanda Kolzwoskaja von der Tischecke sprang und auf sie zukam, das schreckliche Instrument vorstreckend. »Seit einem Jahr schlafe ich mit Sergeij Pantalonowitsch Kaljus, und er hat nie etwas gemerkt!«
»Wer die Lues schon hat, merkt so etwas auch nicht. Los, zieh dich aus!«
»Genossin Kapitän …« Olga begann zu zittern. »Ich schwöre …«
»Ausziehen!« schrie die Kolzwoskaja.
Olga nestelte an ihrer Bluse herum. Sie öffnete die Knöpfe und schloß sie wieder. Es war eine hellgrüne Wollbluse, wie sie in den staatlichen Textilgeschäften millionenfach verkauft wurden.
»Was habe ich Ihnen getan, Genossin Kapitän!« fragte sie demütig. »Es stimmt nicht alles, was Ihnen diese Erna-Svetlana erzählt haben mag.«
Die Kolzwoskaja riß die Augenbrauen hoch. »Was ist mit Svetlana?«
»Sie spioniert … ich weiß es. Wie kommt man in Alma-Ata sonst dazu, ein kleines, dummes Mädchen so gut zu behandeln?! Sie erzählt Ihnen nicht nur von mir, sondern sie berichtet auch über Sie nach Alma-Ata!«
»Du siehst Gespenster, Olga.« Die Ärztin ging zurück zu ihrem Schreibtisch. Olga hatte ihre Bluse ausgezogen und das Hemd heruntergestreift. Ihre dicken, schweren Brüste hingen bis zum Gürtel des Rockes. Es sah nicht schön aus, sondern beleidigte den letzten Rest von Ästhetik, die der Kolzwoskaja noch geblieben war. »Zieh dich wieder an«, sagte sie deshalb. »Aber ich untersuche dich mit den größten und schmerzhaftesten Instrumenten, wenn du nicht genau zuhörst.«
»Ich höre, Genossin Kapitän.«
Olga rückte das Hemd hoch und zog die Bluse wieder an. Die Kolzwoskaja sah auf das Instrument in ihrer Hand.
»Svetlana muß weg!«
Olga hörte verblüfft mit dem Zuknöpfen auf. »Wenn das so einfach ginge …«
»Ein Unfall! Hast du nie daran gedacht?«
»Sie ist nie allein. Entweder ist sie in der Halle oder die Vorarbeiterin ist bei ihr.«
»Auch nachts?«
»Auch.«
»Kann sie nicht einmal stolpern und in die kochende Lauge fallen?«
Olga Puronanskija riß die Augen auf. »Aber dann ist
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