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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ampullen oder Schachteln gegen einen verborgen gehaltenen Sträfling?!
    Sie schlug die Decke zurück und tastete den Oberschenkel Boris' ab. Dann stieß sie die Hohlnadel in das Fleisch und drückte langsam den Eiter hinein. Aber bei der Hälfte der Spritze hörte sie auf und riß die Nadel wieder heraus.
    Unbewußt, in der Narkose, hatte Boris aufgestöhnt. Dieses Stöhnen ließ die Kolzwoskaja zusammenschaudern. Sie sah Boris röchelnd im Bett liegen, den ganzen Körper mit ekeligen Furunkeln übersät, das Blut verseucht, sterbend … durch eine kleine Spritze, die ihn retten sollte.
    Etwas wie Panik ergriff die Ärztin. Sie warf die Decke wieder über den Körper, steckte die Spritze in die Tasche und rannte aus dem Zimmer zurück in das als Operationsraum hergerichtete Verbandszimmer. Dort suchte sie mit fliegenden Händen nach dem wertvollen amerikanischen Penicillin, von dem einige Ampullen sogar bis nach Ust-Kamenogorsk gekommen waren. Wanda Kolzwoskaja hatte es nie benutzt. »Für die Sträflinge ist es zu schade«, sagte sie einmal. »Es ist einfacher, hundert zu begraben, als hundert neue Ampullen zu bekommen.« Für die Milizsoldaten und Offiziere gab sie das Penicillin nicht heraus mit der Begründung: »Solange wir eigene Mittel haben, können wir auf die kapitalistischen Arzneien verzichten!« Der tiefere Grund allerdings war, daß sie mit dem Penicillin nichts anzufangen wußte … die beiliegenden Beschreibungen waren in englischer Sprache. Die Kolzwoskaja aber konnte kein Englisch … sie wußte nicht einmal, ob man das neue Mittel intramuskulär oder intravenös injizieren mußte.
    So lagen die wertvollen Ampullen in einer Ecke des Medikamentenschrankes herum und warteten auf den Ablauf der Verfallzeit. Das war auch das einzige, was die Kolzwoskaja verstand … das Datum, an dem sie die Ampullen in den Mülleimer werfen konnte.
    In dieser Stunde überwand sie alle Scheu vor der weißlichen Flüssigkeit. Sie warf die Medikamente aus dem Schrank einfach auf den Boden … sie wühlte sich durch die ›Lagerapotheke‹, bis sie ganz hinten die drei flachen Schachteln mit dem Aufdruck ›Depot-Penicillin‹ fand. Sie riß sie an sich, nahm einen Sterilkasten mit Spritzen und Nadeln und rannte zurück in das Zimmer 4 mit der schreienden roten Türschrift: ›Lebensgefahr!‹
    Stephan, der mit einem Eimer voll Mull aus einem Zimmer kam, ging ihr aus dem Weg, indem er sofort wieder in das Zimmer zurückhetzte und die Tür schloß. »Das Weibstück ist vielleicht in Fahrt«, sagte er zu den 10 ausgemergelten Männern, die mit stumpfen Augen auf den Strohsäcken lagen. »Auf Nummer 4 muß ein ganz toller Fall liegen! Ich vermute, die probieren an dem ein neues Mittel aus.«
    »Dafür sind wir noch gut genug«, sagte einer der Kranken. »Sonst sind wir Dreck.«
    »Wir sind nie mehr gewesen«, sagte Stephan und schlurfte aus dem Zimmer.
    In Zimmer 4 zog die Kolzwoskaja eine Spritze Penicillin auf. Sie hatte sich entschlossen, das fremde Mittel intramuskulär zu injizieren … wenn es falsch war, konnte es nicht viel schaden. Ein Mittel aber, das nicht in die Vene gehört und doch dort gespritzt wird, kann zur Katastrophe werden.
    Zwei große Ampullen voll jagte sie Boris in beide Oberschenkel … eine Menge, die genügt hätte, acht Menschen gegen Staphylokokken zu immunisieren. Erst als sie die Spritzen leer hatte, kamen ihr Bedenken. Aber sie fegte sie mit dem lapidaren Satz fort: Zuviel ist hier besser als zuwenig. Das beruhigte sie einigermaßen … aber sie blieb am Bett sitzen, als erwarte sie eine spontane Reaktion des amerikanischen Wundermittels, als lauere sie wirklich auf ein Wunder, das sich vor ihren Augen vollziehen sollte.
    Langsam erwachte Boris Horn aus seine Äthernarkose. Er schlug die Augen auf, würgte etwas und sah das Gesicht der Kolzwoskaja über sich, lächelnd, wie in Nebeln, mit großen Augen und einem leuchtenden Mund.
    »Was habt ihr mit mir gemacht?« sagte er leise. »Mir ist so schlecht … das Blut ist wie Feuer … Ich verbrenne ja innen …«
    »Es geht gleich vorbei«, sagte die Kolzwoskaja stockend. »Keine Angst, Boris –«
    Sie starrte auf sein Gesicht, auf die Augen, auf die Hände, die unruhig über die Decke tasteten.
    »Es wird immer heißer!« stöhnte Boris. Er warf die Decke mit den Beinen zur Seite … plötzlich richtete er sich auf, griff sich mit beiden Händen an die Kehle und rang nach Luft.
    »Ich verbrenne!« stöhnte er laut. »Was habt ihr mit mir

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