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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war zwar im Augenblick etwas schlapp und entkräftet, aber sonst von einem blendenden Gesundheitszustand. Wie sagte Hitler: Im Osten liegt Deutschlands Zukunft. – Er schien mal wieder recht zu haben –
    In Neuenaue stand die Familie Bergner einen Augenblick verwirrt und verblüfft vor dem Haus, das man ihr zugewiesen hatte.
    Daß es umkränzt war mit Tannengirlanden, verwischte nicht den Eindruck, daß dieses Dorf aus Bruchbuden bestand, daß es verwahrlost war, daß der Krieg es halb zerstört hatte und es in diesem Augenblick aussah wie ein einziger großer Friedhof.
    Vera Petrowna sah Rudolf an. In ihrem Blick lag die Frage, die sie nicht laut auszusprechen wagte. Bergner nickte und drückte fester die kleine Hand Erna-Svetlanas, die er erfaßt hatte.
    »Ein neues Leben heißt soviel wie ein neuer Anfang«, sagte er stockend. »Wenn der Boden gut ist, bauen wir auf!«
    »Und wenn er schlecht ist?«
    »Beschweren wir uns.«
    Dieser Ausspruch bewies, daß Bergner wie alle anderen Bauern noch nicht begriffen hatten, wohin sie gekommen waren.
    Es ist für einen anständigen Menschen auch schwer, das zu begreifen, was man Politik nennt.
    *
    Vier Tage später kam das Vieh an.
    Polnisches Vieh. Den polnischen Bauern weggenommen oder von Polen als Wiedergutmachung erpreßt. Es waren gute Rinder und wundervolle Fleischschweine, gesunde Hühner und widerstandsfähige, kleine, zähe, schnelle und arbeitsame Pferde.
    Als die Transporte in Neuenaue ankamen, hatten die Bergners schon den ersten Schock hinter sich.
    In dem schmutzigen Haus, das sie betraten, klebte an den Wänden des Schlafzimmers noch Blut. Im Keller, dort, wo man die Kartoffeln für den Eigenverbrauch lagern wollte, hing etwas an der Wand. Rudolf Bergner kratzte es ab und warf es draußen auf den Misthaufen. Es war Gehirnmasse … Vera Petrowna gegenüber verschwieg er es. Aber er wußte jetzt, was in diesem Hause vorgegangen war und wo die vorherigen Bewohner geblieben waren.
    Er ging zu dem nationalsozialistischen Bürgermeister, der gleichzeitig auch Ortsgruppenleiter von Neuenaue war. Er wohnte im Schulhaus, war aus Pirna an der Elbe gebürtig, trug ein dickes Parteiabzeichen auf dem Rockaufschlag und ging nur in Uniform herum. Schon am zweiten Tage ging durch Neuenaue das Gerücht, daß er das Parteiabzeichen auch auf dem Nachthemd trüge und sein Nachttopf mit einem Hakenkreuz geschmückt sei.
    »Sie wollten sich in die Partei aufnehmen lassen, Volksgenosse Bergner?« fragte Ortsgruppenleiter Paul Ullricht.
    Er schob Rudolf ein Formular hin, aber Bergner schob es mit der gleichen Bewegung zurück. Ullricht sah es mit Erstaunen.
    »An der Wand meines Kellers klebte Gehirnmasse«, sagte Bergner laut. Ullricht hob die Hände.
    »Vielleicht hatte jemand zu hohen Blutdruck, und der Kopf ist ihm geplatzt.«
    »Was haben Sie mit den Vorbesitzern gemacht?«
    »Umgesiedelt.«
    »Das ist nicht wahr! Und im übrigen hat man uns ein neues Dorf versprochen! Das hier ist ja schlimmer als die verlassenen Kolchosen! Dagegen war Nowy Wjassna ein Paradies!«
    Der Ortsgruppenleiter faltete das Anmeldeformular zusammen. Er faltete es ganz klein zusammen und warf es dann in den Papierkorb neben sich.
    »Lieber Bergner«, sagte er ruhig. »Der Führer hat Sie gerufen, und Sie sind gekommen! Sie haben erkannt, daß Sie Deutscher sind! Deutschland lebt im Krieg! In gar nicht langer Zeit werden wir noch Großes erleben! Die Welt wird sich verändern! Und da kommen Sie und klagen wegen ein bißchen Gehirn an der Kellerwand und meckern über die Häuser. Ich rate Ihnen: gehen Sie zurück, spucken Sie in die Hände und machen Sie aus Neuenaue das, was in Ihren Augen dieses Nowy Wjassna war. Verstanden?«
    Das letzte Wort war härter, lauter, widerspruchslos. Bergner verließ nachdenklich die Schule. Aha, dachte er. Irgendwie gleicht sich alles auf der Welt. Ob Moskau oder Berlin … der Ton ist jedenfalls der gleiche.
    Merkwürdig … er begann, sich heimisch zu fühlen …
    *
    In den folgenden acht Tagen geschah noch einiges.
    Mit dem Treck aus Rußland war auch ein Pfarrer gekommen. Er hatte als junger Mensch in Deutschland sein Examen gemacht, war evangelischer Vikar geworden und hatte dann einer Einladung seiner Tante nachgegeben, sie in Wolhynien zu besuchen. Das war 1924, als in Deutschland ein Ei 10 Millionen kostete und man mit einem Koffer voller Geldscheine auf den Markt gehen mußte, um das Mittagessen einzukaufen.
    Der junge Vikar blieb in Wolhynien … jetzt war er

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