Der Himmel über Kasakstan
Glückspilz, Svetlana …«
»Komm mit«, sagte Borkin und richtete sich wieder auf. Er nahm die schlaffe Hand Svetlanas und nickte Konjew zu. »Melde nach Alma-Ata, daß ich die Kleine nehme.« Er wandte sich ab und ging mit Erna-Svetlana der Terrasse zu.
Konjew nickte. »Ja, Iwan Kasiewitsch«, rief er. Dann schwang er sich auf sein Pferd und ritt zurück nach Judomskoje. Wenigstens einen Wodka hätte er mir anbieten können, dachte er grollend. Sein Wodka ist berühmt in der ganzen Gegend. Aber so sind die feinen Herren und Parteibonzen … wir sind Dreck in ihren Augen.
Im Haus, der langgestreckten hölzernen Datscha, führte Borkin das Mädchen durch alle Räume. In dem Zimmer mit der gläsernen Ecke schlug Svetlana die Hände zusammen und jauchzte.
»Ein Papagei!« rief sie. »Ein richtiger Papagei.«
Er saß in einem großen Messingkäfig und schaukelte auf einer rotlackierten Stange.
»Es wird dir hier gefallen, Svetlana«, sagte Borkin. Er streichelte über ihr goldenes langes Haar und über die Schulter, das Kleid hinab.
Dabei spürte er unter seinen Fingern die ersten Anzeichen eines Erwachsenwerdens, und seine Hände begannen, leicht zu zittern.
»Wie alt bist du?« fragte er. Er streckte seine Hände in die Taschen seines Jagdanzuges, als habe er Feuer berührt.
»Elf Jahre, Herr.«
»Nenn mich nicht Herr, Svetlana. Sag einfach djadja Iwan zu mir.« (Onkel Iwan)
»Djadja«, sagte Svetlana. Über ihr Gesichtchen zog ein glückliches Leuchten. »Wie schön der Papagei ist!«
»Ich schenke ihn dir.«
»O danke, danke, djadja!« Sie schlug die Hände gegeneinander. Dann haschte sie nach der Hand Borkins, und ehe er sie wegziehen konnte, küßte sie sie. Borkin biß sich auf die Unterlippe.
»Das darfst du nie wieder tun, Svetlana! Du bist kein Sklave! Du gehörst jetzt zu diesem Haus.«
»Bist du wirklich ein so berühmter Mann, wie Konjew sagt? Du hast Bücher geschrieben? Du kennst Stalin? Du bist sehr reich?«
Iwan Kasiewitsch Borkin sah hinaus auf seinen Besitz. Die Datscha war ein Geschenk der Partei, das Land hatte man den Kirgisen weggenommen, die Kühe und Pferde und Schafe waren Besitz der Sowchose ›Roter Oktober‹, deren Verwaltung in Uspenski saß. Er war ein reicher Mann – und doch gehörte ihm nichts. Ein Wink aus Moskau, ein ungnädiger Blick, und er war ärmer als die Nomaden, die bis zum Rand der Muju-kum-Wüste ziehen und deren Heimat ihre Wollfilz-Zelte waren.
»Du hast sicherlich Hunger«, fragte er.
Svetlana nickte. »Ja, djadja.«
»Ich werde dir ein Hähnchen braten lassen.«
»Ein ganzes Hähnchen. Mitten in der Woche? Bist du so reich, djadja?!«
Er strich ihr wieder über die langen, seidigen, goldenen Haare. Ein Gefühl von Zuneigung, Stolz und Freude und Verantwortung überkam ihn. »Du sollst nie mehr Not leiden«, sagte er. »Und in wenigen Jahren werden sie alle vergessen haben, daß du eine Deutsche bist …«
*
Sein Ruhm als bekannter Schriftsteller verpflichtete Borkin, oft seine Datscha zu verlassen, um sich aus propagandistischen Gründen dem Volke zu zeigen. Er wurde herumgereicht, ausgestellt und bewundert … er war der sichtbare Beweis von der neuen Kultur des Sowjetstaates, einer Kultur, der der Westen nichts entgegenzusetzen hatte. So wenigstens sagte man, wenn man Borkin vorstellte … Tausende Arbeiter oder Komsomolzen, Jungkommunisten oder Offiziersschüler, Baubrigaden oder bäuerliche Pioniere klatschten dann begeistert Beifall und waren stolz auf ihre Kultur.
In den Tagen, die Borkin auf Reisen war, hütete Erna-Svetlana die Schafe auf den riesigen Weideflächen von Judomskoje. Im Hause blieben dann noch zwei junge Knechte und zwei Köchinnen und Putzfrauen, die alle ohne Ausnahme Sträflinge waren, die hier in Kasakstan, am Rande Asiens, ihre Verbannungsjahre verlebten. Sie waren wegen guter Führung aus den Straflagern beurlaubt worden und arbeiteten auf der Datscha. An Flucht dachten sie nicht … es wäre Wahnsinn gewesen, aus der Mitte Rußlands in eine andere Welt zu flüchten, die unerreichbar war wie der Mond.
Drei Tage nach einer neuen Reise Borkins nach Balchasch war Erna-Svetlana mit der Schafherde draußen am Rande der Hungersteppe. Sie saß unter einem Zeltdach, das sie sich mit einem Pony mitgenommen hatte. Es war ein warmer Tag … von Turkestan wehte ein heißer Wind über die Niederungen und strich über die Sonnenblumenfelder, die am Rande Judomskojes begannen.
Die deutschen Bauern waren auf den Feldern. Sie waren
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