Der Himmel über Kasakstan
gehässig. »Man zieht sich keine Feinde groß … man tilgt sie rechtzeitig aus!«
»Wir sollen die Deutschen anständig behandeln. Sie sollen die Steppe kultivieren. Sie werden gute Russen werden … weil sie übriggeblieben sind.«
»Du mußt es wissen«, sagte Marussja. Sie nahm das Schweinefutter von der Feuerstelle und verließ die Küche.
Am sechsten Tag hatte Konjew eine Idee. Er setzte Erna-Svetlana vor sich auf das Pferd und ritt mit ihr hinaus aus Judomskoje.
Unendlich dehnte sich die Steppe. Der Himmel über ihnen war blau, von einem schönen, reinen Blau, wie es Svetlana noch nie gesehen hatte. Große Rinder- und Pferdeherden weideten das Gras, dazwischen lagen, wie weiße Watteknäuel, die Schafherden.
Sie ritten eine knappe halbe Stunde, als das Dach einer Datscha zwischen Kiefern und Birken hervorleuchtete. Es war ein langer, flacher Bau aus Holz, mit einer überdachten Veranda, einer gläsernen Ecke und einem kleinen Gewächshaus, durch dessen Scheiben die roten Knollen von Tomaten und die Blüten großer Blumen sichtbar waren.
Das Nahen des Pferdes wurde von drei Hunden in einem Zwinger gemeldet … wie toll sprangen sie gegen den Draht und bellten, fletschten die Zähne und kratzten mit den großen Tatzen die Erde auf.
Konjew lächelte. »Es sind eigene Züchtungen des Herrn«, erklärte er. »Er hat eine gefangene Wölfin mit einem Jagdhund gepaart. Keiner in Kasakstan hat solche Hunde wie er!«
Auf der überdachten Terrasse erschien eine breite, große Gestalt. Sie trug einen grünen Anzug und hohe Juchtenstiefel; in der Hand hielt sie eine Reitgerte, die mehr einer Peitsche glich.
Konjew winkte ihr zu und hielt sein Pferd an.
»Ein schöner Tag, Iwan Kasiewitsch Borkin!« rief er. »In Alma-Ata soll es die ersten Rosen geben.«
Die Hunde verstummten, als Borkins hohe Gestalt an ihrem Zwinger vorbeikam und die Peitsche leicht gegen die Gitter schlug. Hechelnd lagen sie nahe der Tür und beobachteten Konjew aus rotunterlaufenen, blutdürstigen Augen.
»Wer ist denn das?« Borkin zeigte mit der Peitsche auf Svetlana, die sich an Konjew drückte. »Ich wußte nicht, daß du eine Tochter hast, Iljitsch Sergejewitsch.«
»Sie ist eine Waise.« Konjew sprang vom Pferd und half Erna-Svetlana herunter. Klein und schüchtern, die Sonne in ihren langen goldenen Haaren widerspiegelnd, stand sie neben dem Pferd und sah zu Borkin hinauf.
Er lächelte sie an. Sein schmales Gesicht, das gar nicht zu seinem großen Körper paßte, hatte so etwas wie die Ähnlichkeit mit einem Windhund. Eine lange schmale Nase, eng beieinanderliegende braune Augen, ein dünner, breiter Mund, fast lippenlos und ohne Farbe.
»Eine Verwandte?« fragte er Konjew. Der Dorfsowjet schüttelte den Kopf.
»Eine Deutsche.«
»Ach!« Borkin hob die dünnen Augenbrauen. »Mit dem Transport aus Alma-Ata gekommen? Wolhyniendeutsche?«
»So ist es. Sie ist Vollwaise.«
Iwan Kasiewitsch Borkin schlug mit der Peitsche gegen seine weichen Juchtenstiefel. »Und du reitest mit ihr spazieren?«
»Ich dachte, Iwan Kasiewitsch, daß …« Konjew stockte.
»Ach, ich verstehe. Du bringst sie mir?!«
»Im Dorf ist keiner, der sie ernähren könnte. Aber Sie, der große Dichter der Sowjetunion, der Freund Stalins, der Preisträger, in dessen Büchern unser unsterbliches Rußland verherrlicht wird –« Konjew schluckte, denn Borkin ließ ihn ungerührt weitersprechen, ohne ihm zu helfen –, »Sie haben eine schöne Datscha, Sie haben Kühe und Pferde und Schweine und Schafe … Ich dachte, daß Svetlana das Vieh bei Ihnen hüten könnte.«
Borkin sah zu dem Mädchen hinunter. Kleines, schmächtiges Ding, dachte er. Wenn du in ein paar Jahren so schön bist wie deine Haare, werde ich nicht bereuen, heute Ja gesagt zu haben.
»Svetlana ist ein schöner Name«, sagte er.
»Es heißen viele Mädchen so, Herr.«
»Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben.«
Svetlana nickte. »Ich will … Wo soll ich denn sonst hin?«
»Das klingt nicht begeistert.« Er legte die Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte zusammen. »Hast du Angst vor mir?«
»Ein wenig.«
»Ich fresse dich nicht.« Er hockte sich nieder und sah Svetlana in die blauen Augen. »Ich habe mir immer ein Mädchen gewünscht. Es war ein guter Gedanke von Konjew, dich zu mir zu bringen.«
»Iwan Kasiewitsch Borkin ist ein großer Dichter«, sagte Konjew stolz. »Er kennt in Moskau und im Kreml jeden Minister und aß mit dem großen Stalin an einem Tisch. Du bist ein
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