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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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Irgendetwas musste geschehen, auch wenn sie nicht wusste, was. Sie erhoffte sich Rettung, ohne zu wissen, woher. Sie wollte hoffen, sie brauchte Hoffnung.
    In der letzten Sekunde, bevor sie aus der Tür trat, fand Güldane eine Lösung. Dieses Mal schaute sie auf das dunkelblaue Muster. »Komm du auch mit«, sagte sie.
    Aber Güldane konnte die Antwort nicht abwarten. Die Frage war so mächtig, dass sie sie auf ihren jungen Schultern nicht tragen konnte. Voller Scham, Angst und Verlangen verschwand sie zur Tür hinaus.
    Yunus kauerte hinter dem Baum gegenüber und sah Güldane aus dem Haus rennen. Er folgte ihr nicht mehr.

Der Abschied
    Halil blieb nach Güldanes Abgang tagelang wie festgenagelt zu Hause. Die geheimnisvollen Düfte des Mädchens, die sich in der Wohnung eingenistet hatten, zogen ihn in einen Wirbel der Ungewissheit und Sorge. Er wankte in der Wohnung von einem Zimmer ins andere, vom Bett auf den Sessel. Sein Kopf fiel mal auf das eine Kissen, mal auf das nächste, prallte hier gegen diese Wand und dort gegen jene. Seine Gedanken waren wirr … sehr wirr. Zwischen dem einen Augenblick und dem anderen raste er so schnell hin und her, dass er sich am Abend, obwohl er nichts getan hatte, so erschöpft fühlte, als hätte er den ganzen Tag Steine geschleppt.
    Wenn es ihm einigermaßen besser ging, versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Wann hatte er Güldane zum ersten Mal gesehen? Wann war der Unfall passiert? Hatten sie sich wirklich geliebt? War Güldane zu ihm nach Hause gekommen? Er hatte sie doch mit dem Wagen verfolgt, bloß an welchem Tag? Hatte er sie von der Galata-Brücke geworfen, bevor sie im Wald waren oder danach? Waren sie wirklich im Wald gewesen? War die Frau, die in den Wagen stieg, Güldane? War überhaupt eine Frau in den Wagen gestiegen? Wann war der Unfall passiert? Der Widerschein des Mädchens, das sich hinter dem Fenster im Kerzenlicht langsam auszog, gehörte der wirklich Güldane? Wenn das so war, wann hatte er dieses Bild gesehen? Wann war der Unfall passiert? Wohin wollte Güldane, als sie ins Taxi stieg? Wann hatte er sie zum ersten Mal gesehen? Hatten sie sich wirklich geliebt? Wann war Güldane zum ersten Mal zu Halil nach Hause gekommen? Wann war der Unfall passiert?
    Halil machte sich daran, jeden Tag diese Ereignisse in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Diese Beschäftigung bereitete ihm einerseits eine unsägliche Lust, denn immer, wenn er sich der unwiderstehlichen Anziehung der Erinnerungen an Güldane hingab, wurde er zu einer Wolke und hob in die Lüfte. Aber wenn er dann merkte, dass er die Fragen jeden Tag anders beantwortete, jeden Tag eine andere Chronologie aufstellte, war er am Boden zerstört, und die Wolke wurde schwarz und dicht, wurde zu Regen und fiel hinunter. Am Ende des Tages ließ er sich entkräftet ins Bett sinken.
    Während sich Halil in diesem Teufelskreis wie ein dummer Hamster im Rad hin und her drehte, klingelte das Telefon. Es war Müge. Ihre Stimme kam von weit, sehr weit her und war schwer zu vernehmen.
    »Ich wollte nur nach deiner Gesundheit fragen«, sagte Müge. »Geht es dir gut?«
    »Mir geht es gut«, antwortete Halil. »Wie geht es dir?« Wo er jetzt diese Frage herhatte, wusste er nicht. Er war verwirrt. Ihm war, als würde man ihn in dem Traum eines anderen sprechen lassen. Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor.
    Durch Halils Frage wurde Müge lebhafter. »Mir geht es gut«, sagte sie, »sehr gut.« Nun lag in ihrer Stimme eine kaum merkliche Übertreibung, ein auswendig gelernter Optimismus. »Na, was machst du so? Hast du Arbeit gefunden?«
    »Ja«, sagte Halil, »hab ich gefunden. Ich arbeite.«
    Ihr gefiel diese Antwort. Eine Weile erzählte sie von sich selbst. Jetzt hatte sie in einer anderen Klinik angefangen und hatte viel zu tun. Sie fand keine Zeit für nichts. Auch nicht für ihren Mann, was diesen sehr ärgerte. Aber was sollte sie tun, sie konnte wirklich nichts dafür.
    Halil hörte Müge gleichgültig zu, bis die Frage kam:
    »Und du? Gibt es jemanden in deinem Leben?«
    »Ja«, sagte Halil entschlossen. »Nein«, sagte er anschließend.
    Auf der anderen Seite wurde es still. Als Müge erneut zu sprechen begann, kam ihre Stimme wieder von weit, sehr weit her. »Mut«, sagte sie. »Alles, was du brauchst, ist Mut. Du musst dich für etwas entschließen und es dann einfach tun. Du bist ein Mensch, der die Kraft hat, alles zu bekommen, was er will.« Danach wurde aufgelegt.
    Wann hatte dieses Gespräch

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