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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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bringen:
    »Bist du gaga oder was, was guckst du so?«
    Dann schürzte sie die Lippen und mimte die Beleidigte:
    »Oder gefällt’s dir etwa nicht?«
    In seinem Kopf, in dem alles durcheinanderwirbelte wie im Istanbuler Feierabendverkehr, suchte Yunus hastig nach passenden Wortfetzen. Er schluckte. Schließlich brachte er mit der krächzenden, katastrophalen Stimme eines Jungen, der den ersten Schritt in die Pubertät getan hat, hervor: »Sehr … es gefällt mir sehr.«
    Was Yunus auch sagen mochte, es würde Güldane nicht befriedigen. Sie wusste nur zu gut, dass es auf dieser Welt keinen Mann gab, der gebührende Worte zu ihrer Schönheit finden könnte, oder dass sie zumindest einen solchen nicht kannte. Deswegen verlor sie keine Zeit damit, Yunus weiter zu quälen. Sie packte ihn am Arm und zog ihn hinaus.
    Sie liefen auf Cevdet in der Mitte des Platzes zu, dessen Augen noch immer mit der Krawatte zugebunden waren. »Bring das mal her«, sagte Güldane. Dabei zeigte sie auf die Mülltonne am Rand des Gehsteigs. Yunus brachte sie. Güldane kletterte flink hinauf und band die Augen Cevdets los. Sie drückte Yunus die Billigkamera aus Plastik, die sie an dem Verkaufsstand an der Straßenecke erworben hatte, in die Hand. »Los«, sagte sie, »mach mal ein paar Fotos!«
    Sie nahm immer wieder neue Posen ein und ließ sich mit ihrem Vater fotografieren; sie legte ihren Arm um seinen Hals und tat, als würde sie ihn küssen, umarmte ihn und lehnte ihren Kopf an seine Brust, hob einen Fuß hoch oder neigte ihren Kopf. Und Yunus machte mit großem Ernst klack klack Fotos von ihr.
    Die Bewohner des Viertels beobachteten leicht irritiert die Geschwister. Güldane war so faszinierend, aber den anderen gegenüber so gleichgültig, dass die Frauen es ratsam fanden, ihren Neid und die Männer ihre Lust auf sie zu einem anderen Zeitpunkt auszudrücken.
    Irgendwann kletterte Güldane von der Tonne hinunter, warf ihre Haare zurück und hakte sich bei Yunus ein. Stolz und hüftschwingend schritten sie davon.
    Als sie in Zeytinburnu im Hochzeitssaal ankamen, wo Schlangen aus Krepp-Papier von der Decke hingen, Luftballons in verschiedenen Farben herumflogen und im vorderen Bereich ein Trauungstisch mit einer schillernden blauen Decke stand, hatten sich die Gäste schon längst eingefunden. Weil Safiye die Kinder ermahnt hatte: »Sagt es bloß niemandem weiter, die Familie des Bräutigams ist sehr edel, sonst kommen unsere ganzen Zigeuner und dann bin ich schrecklich blamiert«, war niemand aus dem Viertel im Saal. »Und ihr zieht euch was Schönes an, setzt euch irgendwo hinten hin und guckt zu. Seid nicht laut. Wir machen das in einem Hochzeitssaal, aber wir machen keine Feier, nur eine bescheidene Trauung«, hatte Safiye noch hinzugefügt. Sie hatte ihre Enttäuschung darüber, dass sie nicht mit einem prunkvollen Fest in die Welt der Glückseligkeit eintreten durfte, verborgen, indem sie mit einer leichten Kopfbewegung die Haare nach hinten warf und ihrem Gesicht einen stolzen Ausdruck verlieh, und hatte ihren Kindern eingeschärft, sie an diesem Tag nicht zu beschämen.
    Nun geschah es aber, dass mit dem Eintreten von Güldane und Yunus sich alle Köpfe unwillkürlich zu ihnen drehten und ein Geflüster umging. Frauen mit billigen, unter den Arm geklemmten Taschen, synthetischen Blusen mit weitem Kragen und schrillem Muster, dunklen Zweiteilern und dem Geruch nach falschem Parfüm, und Männer, die in ihren gestreiften Anzügen mit schmalem Kragen nach Schweiß rochen, fanden diese beiden »Zigeuner«, die ihnen ganz und gar nicht ähnelten, natürlich sehr befremdlich.
    Yunus hatte die Anspannung, die sich seit ihrem Eintreten im Saal verbreitete, nicht wahrgenommen. Er hüpfte und streckte den Hals, um seine Mutter zu finden. Güldane dagegen hatte schon gespürt, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. In ihren Ohren hatten Alarmglocken geläutet, sie hatte sich in einen Schutzmantel gehüllt und Yunus’ Hand fest ergriffen.
    Tatsächlich stellten sich ihnen bald zwei, drei Männer in den Weg, die ihre Haare mit billigster Brillantine nach hinten geklebt hatten und schwarze Anzüge trugen.
    »Zu welcher Familie gehört ihr?«, fragten sie.
    Yunus hob den Kopf und sah sie schräg an. Güldane schwieg. »Was schert euch das?«, sagte Yunus.
    Die Anzugmänner folgerten aus dieser Antwort, die beiden Zigeuner seien eigentlich gar nicht eingeladen, sondern nur Eindringlinge.
    »Macht hier keine Probleme, geht schön brav wieder

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