Der Hinterhalt
Ich gab mir Mühe, in ruhigem, aber bestimmtem Tonfall zu sprechen. Vielleicht hätte ich dich besser vorbereiten sollen. Doch das spielte keine Rolle. Ganz egal, wie gut du vorbereitet gewesen wärst, du wärst trotzdem nicht startbereit gewesen. Nachdem ich dir erklärt hatte, wo ich mich aufhielt, zog ich mich an. Ich ließ das T-Shirt um mein Bein gewickelt, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass die Blutung inzwischen aufgehört hatte. Ich warf alle meine Habseligkeiten in eine Tasche. Dann rief ich die Rezeption an, gab Bescheid, dass ich die Stadt für ein paar Tage verlassen, das Zimmer aber dennoch bezahlen würde, und fragte, ob sie es für mich weiter reservieren könnten. Sie kamen meiner Bitte gerne nach. Genau neunzehn Minuten nachdem wir aufgelegt hatten, klopfte es an der Tür.
Wir nahmen einen Bus nach Boston. Du schliefst fast die gesamte Strecke mit dem Kopf an meine Brust gelehnt. Wie vereinbart, hattest du wenig eingepackt und nur etwas Wechselbekleidung und einen Kulturbeutel dabei. Ich betrachtete dein Gesicht, während du schliefst. Dein Kopf schaukelte jedes Mal auf und ab, wenn der Bus über Unebenheiten auf der Straße holperte. Du schliefst trotz der Bodenwellen weiter, als hätten sie gar nicht existiert. Ich musste dich beschützen. Ich wollte nicht das Schlimmste sein, das dir jemals begegnet war, und hoffte, du würdest eines Tages denken, es sei ein Segen, dass du mir begegnet bist. Ich wachte jeden Morgen mit derselben Hoffnung auf.
Wir hatten keine Probleme an der Grenze. Ich warnte dich, dass ich mit einem gefälschten Pass und unter einem falschen Namen reiste. Diese Lügen brachten dich nicht aus der Ruhe. Das verhieß Gutes für unsere Zukunft.
Als wir in Boston ankamen, nahmen wir uns einen Leihwagen. Wir wollten den restlichen Weg mit dem Auto zurücklegen. Unser Ziel war New Jersey, da ich glaubte, dass wir dort in Sicherheit wären. Ich rief meine Mutter nicht an, um sie vorzuwarnen, dass wir kommen würden. Mir war klar, dass ich sie nach dieser Reise womöglich nie wiedersehen würde. Ich wollte, dass sie vorher noch die Mutter ihres Enkelkindes kennenlernt, und wünschte mir, dass wir uns für einen kurzen Moment wie eine ganz normale Familie fühlen würden.
Auf der Autofahrt von Boston nach New Jersey schwiegst du. Die einzige Frage, die du während der gesamten Fahrt stelltest, lautete: »Bist du dir sicher, dass du das schaffen wirst, Joe?«
»Was schaffen?«, fragte ich, da ich mir nicht sicher war, wovon du sprachst.
»Bist du dir sicher, dass du dem Krieg den Rücken kehren kannst?«
Ich dachte darüber nach. Ich dachte darüber nach, was der Krieg mir bedeutete. Ich dachte an meine Angehörigen, die ermordet worden waren. Ich dachte an meinen Vater und an meine Schwester. Ich dachte daran, was Jared über meine Zukunft gesagt hatte. Ich dachte an meine Freunde, die ich zurückließ. Mir war bewusst, dass ich nie wieder solche Freunde haben würde. »Ich bin mir sicher«, antwortete ich.
»Wie kannst du dir sicher sein?«, wolltest du wissen, als hättest du meine Gedanken gelesen und gewusst, dass ich den Krieg noch nicht aufgegeben hatte.
Ich sah dich an. Ich sah hinunter auf deinen Bauch, in dem sich das Geheimnis verbarg, das mein Leben für immer verändern würde. »Ich hatte einen guten Grund zu kämpfen. Jetzt habe ich einen besseren Grund abzuhauen.«
ZWÖLFTES KAPITEL
Es war bereits dunkel, als wir beim Haus meiner Mutter im Norden von New Jersey ankamen. Wir waren fast fünf Stunden unterwegs gewesen. Ich hatte Skrupel, schnell zu fahren. Die Leute vom Geheimdienst würden unsere Spur nach Boston verfolgen können, wo ich mit einem der gefälschten Pässe, die sie mir gegeben hatten, unseren Wagen gemietet hatte. Meine Hoffnung war, dass sie unsere Fährte schließlich verlieren würden, wenn wir bar bezahlten und nicht in Schwierigkeiten gerieten. Noch hatte ich zwei Wochen Zeit, bis ich mich wieder melden sollte. Diese zwei Wochen mussten uns genügen, um in der Menge unterzutauchen.
Ich bog in die Zufahrt des kleinen Hauses meiner Mutter ein und schaltete das Licht aus. Du schliefst, als ich anhielt. Du hattest in letzter Zeit viel geschlafen. Bislang war dieser Umstand das einzige Anzeichen dafür, dass du schwanger warst. Ich wusste, dass meine Mutter uns nicht kommen gehört hatte, da ich sie nicht zum Küchenfenster hinausspähen sah, was sie sonst immer tat, wenn sie Besuch bekam. Dieser würde eine Überraschung werden. Ich sah
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