Der Hinterhalt
zehn Minuten retteten mir vermutlich das Leben.
Mein Bein schmerzte bei jedem Schritt. Ich biss mir auf die Unterlippe und ging weiter. Die unvermeidlichen Sirenen, die ich erst hören sollte, als ich nur noch einen halben Block von meinem Hotel entfernt war, trieben mich an. Mein Hotel war nur etwa zehn Häuserblocks von dem Restaurant entfernt, ungefähr eine halbe Meile. Zu Fuß brauchte ich für die Strecke fast zwanzig Minuten. Als ich mich dem Hotel näherte, hörte ich zum ersten Mal die Sirenen. Die Polizei würde ein paar Minuten zu spät kommen, um noch jemanden zu verhaften, und zwanzig Minuten zu spät, um noch jemanden zu retten. Als ich das Hotel erreichte, biss ich die Zähne zusammen und gab mir Mühe, ohne zu hinken durch die Lobby zu gehen. Ich steuerte geradewegs auf den Aufzug zu und drückte den Knopf. Das Warten, während ich beobachtete, wie die Zahl auf der Anzeige über der Aufzugstür quälend langsam kleiner wurde, als sich der Aufzug der Lobby näherte, war das Schlimmste von allem. Ich drehte mich zur Seite, damit niemand die blutdurchtränkte Rückseite meines Hosenbeins sehen konnte. Nach ungefähr einer halben Minute ertönte die Klingel, und ich stieg in den Aufzug. Sobald ich in der Kabine stand, schlug ich auf den Knopf, damit sich die Türen schlossen.
Als die Türen wieder aufgingen, stolperte ich hinaus und humpelte zu meinem Zimmer. Ich holte die Schlüsselkarte hervor, öffnete die Tür und verlor beim Hineingehen beinahe das Gleichgewicht. Dann ließ ich mich zu Boden fallen und zog sofort meine Jeans aus. Da das Blut auf dem Stoff bereits geronnen war, musste ich mir die Jeans regelrecht vom Bein reißen. Das wäre grundsätzlich kein Problem gewesen, wenn die Einschusswunde nicht schon angefangen hätte zu verschorfen und ich mit dem Stoff nicht auch den Schorf weggerissen hätte. Die Blutung, die nachgelassen hatte, setzte wieder voll ein. Ich ging ins Badezimmer, drehte das Wasser der Dusche so heiß wie möglich auf, stieg in die Wanne und reinigte die Wunde mit Seife. Ich musste mit den begrenzten Mitteln auskommen, die mir zur Verfügung standen. Nachdem ich die Wunde gesäubert hatte, ging ich zur Minibar. Das Wasser ließ ich währenddessen laufen. Ich öffnete die Minibar, schnappte mir sämtliche vorhandenen Spirituosenfläschchen und nahm sie mit unter die Dusche. Dann legte ich mich bäuchlings in die Wanne, ließ mir das heiße Wasser auf den Rücken prasseln, öffnete nacheinander die Wodka-, Whiskey- und Ginfläschchen und goss ihren Inhalt in die Wunde auf der Rückseite meines Oberschenkels. Der stechende Schmerz wurde mit jedem Fläschchen schwächer. Als der Alkohol aufgebraucht war, reinigte ich die Wunde erneut mit Wasser und Seife. Sie blutete noch immer. Ich kletterte aus der Wanne und trocknete mich ab. Dann nahm ich ein altes T-Shirt, wickelte es mir ums Bein und band es auf dem Einschussloch fest, um die Blutung zu stoppen. Nachdem ich damit fertig war, schluckte ich eine Handvoll Schmerztabletten. Diese würden meine Schmerzen schließlich lindern, aber wenn ich sie ganz vergessen wollte, brauchte ich etwas Stärkeres.
Was war noch zu tun? Ich setzte mich auf einen Stuhl, nackt, bis auf das T-Shirt, das ich mir ums Bein gewickelt hatte, und ruhte mich kurz aus. »Ich wurde hierhergeschickt, um dich zu töten. Sie wussten, dass du zurückkommen würdest. Sie wussten es.« Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Meine Gedanken rasten. Ich wollte schlafen. Ich wollte mich hinlegen und schlafen. Ich wollte die Gesichter der Toten vergessen. Dazu würde es jedoch nicht kommen. Nicht jetzt, nicht später, niemals. Wir mussten uns in Bewegung setzen. Ich griff zum Telefon und wählte deine Nummer. Es läutete zweimal. Du hobst ab.
»Maria, ich bin’s. Wir müssen los.«
»Ich weiß.« Deine Stimme klang traurig, schicksalsergeben, doch es lag keine Dringlichkeit in ihr. Ich brauchte Dringlichkeit.
»Nein, Maria. Du verstehst nicht. Wir müssen sofort los.«
»Sofort?«
»Ja.«
»Warum? Was ist passiert? Warum sofort?«
»Vertrau mir einfach. Wir müssen sofort weg. Komm zu mir ins Hotel. Nimm alles mit, was du brauchst, aber nicht mehr, als du tragen kannst.«
»Das ist doch verrückt, Joe. Wir können nicht sofort weg. Wir können doch nicht einfach so von einer Sekunde auf die andere verschwinden!« Es war verrückt. Du hattest keine Ahnung, wie verrückt. Nicht einmal ich wusste, wie verrückt es war.
»Wir haben keine andere Wahl, Maria.«
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