Der Hinterhalt
Vorstellung, »das ist meine Freundin, Maria. Maria, das ist meine herrschsüchtige Mutter.« Meine Mutter gab mir einen spielerischen Klaps auf den Arm.
Du hast die Hand ausgestreckt und damit gerechnet, dass meine Mutter sie schütteln würde, doch sie bedachte dich in Sekundenschnelle mit einer stürmischen Umarmung, die beinahe genauso lang dauerte wie die, mit der sie mich bedacht hatte. Ich blickte meiner Mutter über die Schulter, um dein Gesicht zu sehen, als sie dich umarmte. Du warst wie benommen. Ich hatte dir so viel von den Schrecken in meinem Leben erzählt, dass meine Mutter wie ein Anachronismus auf dich gewirkt haben muss.
Schließlich ließ meine Mutter dich wieder los, trat zwei Schritte zurück und musterte dich von Kopf bis Fuß, als betrachtete sie ein Kunstwerk. »Also wenn du kein süßes Ding bist«, sagte sie. »Maria, du kannst mich Joan nennen. Ich freue mich wahnsinnig, dich kennenzulernen.« Du gabst keine Antwort, da du von der Begrüßung noch immer völlig überwältigt warst. »So, und jetzt schnell rein mit euch, bevor wir uns in dieser Kälte noch den Tod holen.« Dann führte uns meine Mutter ins Haus. Ich humpelte die Stufen hinauf.
»Meine Güte, Joseph, alles in Ordnung mit dir?«, rief meine Mutter, als sie mein Humpeln bemerkte. Die Wunde verheilte gut, tat mir aber immer noch weh. Der Schmerz hatte nachgelassen, sich aber über mein ganzes Bein ausgebreitet.
»Nur ein kleiner Arbeitsunfall«, erwiderte ich. Sie verstand das als Zeichen, das Thema vorerst fallen zu lassen.
Im Haus sah es genau so aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Selbst die Pfannenheber befanden sich am selben Fleck. Meine Mutter führte uns durch die Küche und in das winzige Wohnzimmer. Dich setzte sie vor den offenen Kamin, damit du dich aufwärmen konntest. Da ich kein Mädchen mehr mit nach Hause gebracht hatte, seit ich siebzehn war, war ich mir nicht ganz sicher, wie meine Mutter reagieren würde. Ich setzte mich auf das Zweiersofa, meiner Mutter gegenüber, die in der Mitte der Couch saß. Wir waren alle höchstens anderthalb Meter voneinander entfernt. Meine Mutter musterte uns abermals schweigend, als versuchte sie, in Gedanken ein Bild zu malen. Schließlich sagte sie: »Und, welchem Umstand habe ich diesen Besuch zu verdanken?« Sie sah dich an, als sie die Frage stellte. Du sahst mich an. Vielleicht hätten wir uns im Auto auf diese Fragen vorbereiten sollen. Ich hoffte, sie glaubte nicht, wir seien gekommen, um unsere Verlobung bekannt zu geben.
»Ich habe zwei Wochen Urlaub, Ma. Maria und ich haben beschlossen, ihn gemeinsam zu verbringen.« Du wirktest erleichtert, als ich sprach, erleichtert, dass du noch nichts sagen musstest. »Ich wollte, dass sie dich kennenlernt.« Ich wusste, dass sich meine Mutter über diesen letzten Teil freuen würde, und hoffte vergebens, er würde für eine Weile weitere Fragen abwenden.
»Von wo aus seid ihr beiden denn hierhergefahren?« Meine Mutter sah abermals dich an, als sie die Frage stellte. Trotzdem antwortete auch diesmal ich.
»Wir sind von Boston hergefahren, nachdem wir einen Bus von Montreal genommen hatten. Maria studiert in Montreal.« Die Unterhaltung war wie ein Spiel, bei dem ihr, du und meine Mutter, nicht genau wusstet, was ihr sagen durftet. Meine Mutter zog sich aus der Affäre, indem sie Fragen stellte. Du zogst dich aus der Affäre, indem du ganz verstummtest.
»Tatsächlich? Studentin? Das ist ja großartig. Ein bisschen Bildung können wir hier gut gebrauchen. Und was studierst du, meine Liebe?« Du sahst mich an, um dich zu vergewissern, ob du diese Frage gefahrlos beantworten konntest. Ich gab dir mit einem Nicken grünes Licht.
»Ich versuche immer noch, mich zwischen Psychologie und Religionswissenschaft zu entscheiden«, erwidertest du.
Meine Mutter nickte. »Versuchen wir das nicht alle?«, entgegnete sie lachend. »Nun, das klingt beides wirklich interessant. Montreal? Bist du Kanadierin?«
»Ich hole uns mal was zu essen, Ma«, unterbrach ich sie. »Hast du irgendwas im Kühlschrank?«
»Oh, was ist nur mit meinen Manieren?« Meine Mutter erhob sich. »Ihr wart den ganzen Tag unterwegs. Ich hätte euch etwas anbieten sollen.«
»Setz dich wieder hin, Ma«, sagte ich. »Ich finde mich in der Küche schon zurecht. Bleib hier und leiste Maria Gesellschaft. Wenn ich wieder zurückkomme, weißt du sicher mehr über sie als ich. Hast du Hunger, Maria?«
»Und wie«, entgegnetest du. Wir hatten auf der Fahrt in
Weitere Kostenlose Bücher