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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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dürfen. Was Aussagen über eine gezogene Pistole betraf, hatte die Polizei den Mann vernommen und festgestellt, dass er keine Schusswaffe, sondern eine Kamera gehabt hatte. Aus Datenschutzgründen würde seine Identität nicht bekannt gegeben werden. Die Medien schienen die amtliche Version der Ereignisse ebenso zu glauben wie die Bürgerrechtler, von denen Lob für die Zurückhaltung der Polizei kam, auch wenn sie achtzehn Menschen das Leben gekostet hatte.
    Gabriel schaltete den Fernseher ab, als Chiara in die Küche kam. Sie riss sofort das Fenster auf, um den Gestank von Essig und Ochsengalle zu vertreiben, und schalt Gabriel, weil er ihren liebsten Edelstahlkochtopf zweckentfremdet hatte. Gabriel lächelte nur und stippte einen Finger in die Mischung. Sie war inzwischen so weit abgekühlt, dass sie gebrauchsfertig war. Während Chiara ihm über die Schulter sah, bestrich er den vergilbten Firnis gleichmäßig mit Leim, den er mit Rechtecken aus Seidenpapier abdeckte. Nun war Tizians Arbeit unsichtbar und würde es einige Tage lang bleiben, bis die Leinwand neu aufgezogen war.
    An diesem Vormittag konnte Gabriel nicht mehr tun, als das Gemälde ab und zu daraufhin zu kontrollieren, dass der Leim gleichmäßig trocknete. Er saß auf der Veranda mit Meeresblick, hatte sein Notebook auf den Knien und durchforstete das Internet nach weiteren Informationen über die drei Bombenanschläge. Er war versucht, beim King Saul Boulevard nachzufragen, verzichtete dann aber doch lieber darauf. Er hatte es versäumt, Tel Aviv von seinem Beinahe-Kontakt mit dem Londoner Terroristen zu berichten, und wenn er das jetzt tat, lieferte er seinen früheren Kollegen nur einen Vorwand, sich wieder mal in sein Leben einzumischen. Aus Erfahrung wusste Gabriel, dass es am besten war, den Dienst wie eine verschmähte Geliebte zu behandeln. Kontakte mussten auf ein Minimum beschränkt bleiben und fanden am besten an öffentlichen Orten statt, wo man kein Aufsehen erregen durfte.
    Kurz vor Mittag zogen die letzten Ausläufer eines nächtlichen Sturmtiefs über die Gunwalloe Cove hinweg und ließen den Himmel in frisch gewaschenem Kristallblau zurück. Nachdem Gabriel den Tizian ein letztes Mal kontrolliert hatte, zog er Anorak und Trekkingstiefel an und brach zu seiner täglichen Wanderung über die Klippen auf. Am Vortag hatte er den Küstenwanderweg nach Praa Sands genommen. Diesmal stieg er die kleine Anhöhe hinter dem Cottage hinauf und schlug den Weg nach Süden, nach Lizard Point ein.
    Es dauerte nicht lange, bis die Magie der kornischen Küste die Erinnerungen an die Toten und Verletzten im Covent Garden vertrieben hatte. Als Gabriel den Rand des weitläufigen Geländes des Golfclubs Mullion erreicht hatte, war das letzte schreckliche Bild wie unter einer dicken Farbschicht verschwunden. Auf seinem weiteren Weg nach Süden, an den felsigen Polurrian Cliffs vorbei, dachte er nur an die bevorstehenden Arbeiten an dem Tizian. Morgen würde er das Gemälde vorsichtig von dem Keilrahmen abnehmen und die geschwächte Leinwand mit frischem italienischen Leinen doublieren, das mit einem schweren Schneiderbügeleisen angedrückt wurde. Danach kam die längste und mühsamste Phase der Restaurierung: Er musste den rissigen und vergilbten Firnis abnehmen und die Stellen retuschieren, wo der Farbauftrag im Lauf der Zeit beschädigt worden oder abgeplatzt war. Während manche Restauratoren dazu neigten, aggressiv zu retuschieren, war Gabriel in der gesamten Kunstwelt für seine leichte Hand und seine fast unheimliche Fähigkeit bekannt, die Pinselführung von Altmeistern zu imitieren. Seiner Überzeugung nach war es die Pflicht des Restaurators, ungesehen zu kommen und zu gehen, sodass von seiner Anwesenheit keine andere Spur zurückblieb als ein in alter Pracht wiederhergestelltes Gemälde.
    Als Gabriel das Nordende der Kynance Cove erreichte, war die Sonne hinter dunklen Wolken verschwunden, und der Seewind war spürbar kälter geworden. Als aufmerksamer Beobachter der Kapriolen des hiesigen Wetters war ihm klar, dass das »heitere Zwischenspiel«, wie manche britischen Meteorologen sonnige Abschnitte nannten, bald abrupt enden würde. Gabriel machte kurz halt, während er überlegte, wo er Schutz suchen sollte. Im Osten, durch einen Fleckenteppich aus Feldern von ihm getrennt, lag das Dorf Lizard. Direkt vor sich hatte er das Kap Lizard Point. Er entschied sich für die zweite Option, denn er wollte seine Wanderung nicht wegen eines bloßen

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