Der Hintermann
Telefon.
»Mein Klient glaubt, dass viele Bieter sich nur in Pose werfen.«
»Dies ist eine Kunstauktion bei Christie’s. Da sind Posen unerlässlich.«
»Geduld, Mr. Lovegrove.«
Während das Höchstgebot fünfzig Millionen überschritt, behielt Lovegrove die Frau in der Himmels-Loge im Auge. Jack Chambers gab sein letztes Gebot bei sechzig ab. Tony Berringer und sein russischer Gangster boten glatte siebzig. Daraufhin stieg Hector Candiotti aus.
»Sieht so aus, als fiele die Entscheidung zwischen den Russen und uns.«
»Mein Klient kann Russen nicht leiden.«
»Was möchte Ihr Klient dagegen tun?«
»Wo steht der Rekord für einen Rothko bei Versteigerungen?«
»Zweiundsiebzig und ein paar Zerquetschte.«
»Dann bieten Sie bitte fünfundsiebzig.«
»Das ist zu viel.«
»Geben Sie das Gebot ab, Mr. Lovegrove.«
Lovegrove zog eine Augenbraue hoch und hob fünf Finger. »Geboten sind fünfundsiebzig Millionen«, sagte Hunt. »Das Höchstgebot ist nicht von Ihnen, Sir. Und auch nicht von Ihnen. Fünfundsiebzig Millionen für den Rothko. Sie sind gewarnt. Letzte Chance. Niemand mehr?«
Peng.
Durch den Saal ging ein Raunen, als der Hammer fiel. Lovegrove sah zu der Himmels-Loge auf, aber die schöne junge Frau war verschwunden.
9
L IZARD -H ALBINSEL , C ORNWALL
Mit Genehmigung von Scotland Yard, des Innenministeriums und sogar des englischen Premierministers kehrten Gabriel und Chiara drei Tage nach dem Bombenanschlag im Covent Garden nach Cornwall zurück. Madonna und Kind mit Maria Magdalena , Öl auf Leinwand, 110 mal 92 Zentimeter, traf am folgenden Mittag ein. Nachdem Gabriel das in einer Kiste angelieferte Gemälde ausgepackt und im Wohnzimmer auf eine alte Eichenholzstaffelei gestellt hatte, verbrachte er den Rest des Tages damit, die Röntgenaufnahmen zu studieren. Die geisterhaften Aufnahmen bestätigten seine Überzeugung, dies sei ein Tizian – und noch dazu ein sehr guter.
Gabriel hatte mehrere Monate lang an keinem Gemälde mehr gearbeitet und konnte es kaum erwarten, mit dieser Restaurierung zu beginnen. Am folgenden Morgen stand er früh auf, machte sich eine Schale Milchkaffee und stürzte sich sofort auf die schwierige Aufgabe, das Gemälde neu aufzuziehen. Der erste Schritt bestand darin, die Bildseite mit Seidenpapier zu bekleben, um weitere Farbverluste zu verhindern. Obwohl es Klebstoffe zu kaufen gab, die dafür geeignet waren, bereitete Gabriel seinen Leim lieber nach dem Rezept zu, das er aus seiner Lehrzeit in Venedig von dem großen Restaurator Umberto Conti kannte: Kügelchen aus Hasenfell-Leim in einer Mischung aus Wasser, Essig, Ochsengalle und Molasse aufgelöst.
Diese übel riechende Mischung kochte er auf dem Küchenherd ein, bis sie sirupartig war, und sah dann die BBC-Morgennachrichten, während er darauf wartete, dass der Leim abkühlte. Farid Khan war inzwischen in ganz Großbritannien bekannt. Weil sein Anschlag zu einer bestimmten Zeit stattgefunden hatte, gingen Scotland Yard und die britischen Geheimdienste von einem Zusammenhang mit den Bombenanschlägen in Paris und Kopenhagen aus. Noch unklar war, welcher terroristischen Gruppierung der Attentäter angehört hatte. Darüber diskutierten die Fernsehexperten eifrig, wobei das eine Lager behauptete, die Anschläge seien von der al-Qaida-Führung in Pakistan koordiniert worden, während das andere die Theorie vertrat, sie seien eindeutig das Werk einer neuen Organisation, die bisher noch nicht auf dem Radar der westlichen Geheimdienste aufgetaucht sei. Jedenfalls machten die Polizeien und Sicherheitsdienste Europas sich auf weiteres Blutvergießen gefasst. Das beim MI5 eingerichtete Gemeinsame Zentrum für Terrorismusanalyse hatte seine Alarmstufe auf »kritisch« angehoben, was auf einen unmittelbar bevorstehenden weiteren Angriff hindeutete.
Gabriel konzentrierte sich auf einen Bericht über Fragen im Zusammenhang mit dem Verhalten von Scotland Yard in den Minuten vor dem Attentat. In einer sorgfältig formulierten Antwort räumte der Commissioner der Metropolitan Police ein, es habe eine Warnung vor einem Verdächtigen gegeben, der einen übergroßen Mantel trug und in Richtung Covent Garden unterwegs war. Leider, sagte der Commissioner, habe der Tipp nicht die Schwelle erreicht, die für gewaltsames Eingreifen erforderlich gewesen wäre. Dann bestätigte er, dass zwei Beamten von SO19 zum Covent Garden entsandt worden seien, wo sie jedoch wegen der bestehenden Richtlinien nicht hätten schießen
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