Der Hintermann
Regenschauers abkürzen. Außerdem gab es dort ein gutes Café, in dem er den Schauer bei Scones und einer Kanne Tee abwarten konnte.
Als die ersten Regentropfen fielen, klappte er seinen Anorakkragen hoch und folgte weiter dem Rand der Bucht. Aus dem leichten Nebel tauchte das Café auf. Am Fuß der Klippen stand im Lee des verfallenden Bootshauses ein Mann Mitte zwanzig, auf dessen kurzem Haar eine Sonnenbrille saß. Ein zweiter Mann lungerte am Beobachtungspunkt herum und tat so, als sehe er durch das Münzteleskop. Gabriel wusste jedoch bestimmt, dass es schon seit Monaten außer Betrieb war.
Gabriel wurde langsamer und blieb stehen, als ein dritter Mann auf die Terrasse trat. Er trug eine tief in die Stirn gezogene wasserfeste Schirmmütze und eine randlose Brille von der Art, die deutsche Intellektuelle und Schweizer Bankiers bevorzugten. Sein Gesichtsausdruck war ungeduldig wie der eines viel beschäftigten Managers, den seine Frau dazu gezwungen hat, eine Urlaubsreise zu machen. Er starrte Gabriel lange an, bevor er sein dickes Handgelenk hob, um auf die Uhr zu sehen. Gabriel war versucht, auf der Stelle umzukehren. Stattdessen richtete er seinen Blick auf den Weg vor ihm und ging langsam weiter. Lieber in der Öffentlichkeit, sagte er sich. Das macht eine unangenehme Szene weniger wahrscheinlich.
10
L IZARD P OINT , C ORNWALL
»Musstest du unbedingt Scones als Gebäck bestellen?«, fragte Uzi Navot gereizt.
»Bessere gibt’s nirgends in Cornwall. Auch der Dickrahm ist unschlagbar.«
Navot äußerte sich nicht dazu. Gabriel lächelte verständnisvoll.
»Wie viel sollst du noch abnehmen, sagt Bella?«
»Fünf Pfund. Anschließend geht’s darum, mein Gewicht zu halten«, fügte Navot trübselig hinzu, als sei das eine Haftstrafe. »Was gäbe ich nicht für deinen Metabolismus! Du bist mit einer Weltklasseköchin verheiratet und hast trotzdem noch die Figur eines Mannes Mitte zwanzig. Und ich? Ich bin mit der besten Syrienkennerin unseres Landes verheiratet, und wenn ich Gebäck nur rieche, muss ich schon meine Hose zum Auslassen bringen.«
»Vielleicht wird’s Zeit, dass du Bella aufforderst, ihre Diätvorschriften etwas zu lockern.«
»Versuch du es doch mal«, schlug Navot vor. »Ihre jahrelange Beschäftigung mit den Baathisten in Damaskus hat Spuren hinterlassen. Manchmal komme ich mir in meinen eigenen vier Wänden wie in einem Polizeistaat vor.«
Sie saßen an einem Einzeltisch am Fenster, an dessen Scheibe dicke Regentropfen hinunterliefen. Gabriel mit dem Rücken zur See, Navot mit dem Rücken zum Lokal. Er trug eine Cordsamthose und einen nagelneuen beigen Pullover aus der Herrenabteilung von Harrods. Er hängte seine Schirmmütze an die nächste Stuhllehne und fuhr sich mit einer Hand durch sein rotblondes Haar. Es war mit etwas mehr Grau durchmischt, als Gabriel in Erinnerung hatte, aber das war keine Überraschung. Uzi Navot leitete jetzt den israelischen Auslandsgeheimdienst. Da kamen graue Haare automatisch mit dazu.
Hätte Navots kurze Amtszeit in diesem Augenblick geendet, hätte er zweifellos als einer der erfolgreichsten Direktoren in der langen, komplexen Geschichte des Diensts gegolten. Dass er mit Lob überhäuft worden war, verdankte er der Operation Masterpiece, einem englisch-amerikanisch-israelischen Unternehmen, das zur Zerstörung von vier geheimen iranischen Atomanlagen geführt hatte. Ein großer Teil dieses Lobs hätte Gabriel gebührt, aber Navot zog es vor, diesen Aspekt nicht weiter zu erwähnen. Er hatte den Chefposten nur bekommen, weil Gabriel ihn abgelehnt hatte. Und die Zentrifugen der vier Anreicherungsanlagen würden noch laufen, wenn Gabriel den Schweizer Geschäftsmann, der sie den Iranern heimlich lieferte, nicht identifiziert und angeworben hätte.
Im Augenblick schien Navot jedoch nur an den Teller mit Scones denken zu können. Als er nicht länger widerstehen konnte, wählte er für sich selbst auch einen, teilte ihn sorgfältig, bestrich ihn mit Erdbeermarmelade und fügte etwas Dickrahm hinzu. Gabriel schenkte sich aus der Aluminiumkanne Tee nach und fragte ruhig nach dem Grund für diesen nicht angekündigten Besuch. Das tat er in fließendem Deutsch, mit Berliner Tonfall, wie seine Mutter es gesprochen hatte. Deutsch war eine der fünf Sprachen, die er mit Navot gemeinsam hatte.
»Ich hatte mit den britischen Kollegen verschiedene alltägliche Dinge zu besprechen. Auf der Tagesordnung hat auch ein verwirrender Bericht über einen ehemaligen
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