Der Hintermann
Agenten von uns gestanden, der jetzt unter MI5-Schutz hier lebt. Um diesen Agenten und den Bombenanschlag im Covent Garden hat es wilde Gerüchte gegeben. Ehrlich gesagt wollte ich die anfangs gar nicht glauben. Weil ich diesen Agenten gut kenne, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er seine hiesige Position gefährden würde, indem er nachlässigerweise in der Öffentlichkeit eine Waffe zieht.«
»Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen, Uzi?«
»Du hättest deinen Führungsoffizier bei MI5 anrufen und dich ansonsten aus der Sache raushalten sollen.«
»Und wenn du mal in diese Lage kämst?«
»In Jerusalem oder Tel Aviv würde ich nicht zögern, den Dreckskerl umzulegen. Aber hier …« Navot brachte den Satz nicht zu Ende. »Ich hätte vermutlich erst mal darüber nachgedacht, welche Folgen mein Eingreifen haben könnte.«
»Achtzehn Menschen sind umgekommen, Uzi.«
»Du kannst von Glück sagen, dass es keine neunzehn waren.« Navot nahm seine dünne Brille ab, was er oft tat, bevor er sich in ein unangenehmes Gespräch stürzte. »Ich bin zu fragen versucht, ob du wirklich schießen wolltest. Aber angesichts deiner Ausbildung und deiner früheren Leistungen kenne ich die Antwort wohl leider. Ein Agent des Diensts zieht seine Waffe nur aus einem einzigen Grund. Er wedelt nicht damit herum wie ein Gangster oder stößt leere Drohungen aus. Er drückt ab und schießt, um die Zielperson zu töten.« Navot machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Tu’s anderen an, bevor sie’s dir antun können. Das steht auf Seite zwölf von Schamrons kleinem roten Buch, glaube ich.«
»Er weiß vom Covent Garden?«
»Überflüssige Frage! Schamron weiß alles. Mich würd’s nicht wundern, wenn er von deinem kleinen Abenteuer vor mir gewusst hätte. Trotz meiner Versuche, ihn in den endgültigen Ruhestand abzuschieben, besteht er darauf, Kontakt zu seinen Informanten aus alten Zeiten zu halten.«
Gabriel goss einige Tropfen Milch in seinen Tee und rührte ihn langsam um. Schamron … Dieser Name war ein Synonym für die Geschichte Israels und seiner Geheimdienste. Nach seiner Teilnahme an dem Krieg, der zur Gründung des Staates Israel geführt hatte, hatte Ari Schamron die folgenden sechzig Jahre damit verbracht, sein Land gegen unzählige Feinde, die es vernichten wollten, zu verteidigen. Er hatte Königshöfe unterwandert, Tyrannen ihre Geheimnisse gestohlen und zahllose Feinde liquidiert, manchmal eigenhändig, manchmal durch die Hände von Männern wie Gabriel. Nur einem Geheimnis hatte sich Schamron stets entzogen – dem Geheimnis, zufrieden zu sein. Obwohl er inzwischen alt und bei schlechter Gesundheit war, klammerte er sich verzweifelt an seine Rolle als graue Eminenz des israelischen Sicherheitsestablishments und mischte sich weiter in Interna des Diensts ein, als sei dieser sein privates Reich. Angetrieben wurde Schamron nicht von Machtgier, sondern von der quälenden Angst, sein Lebenswerk könnte vergebens gewesen sein. Obwohl Israel wirtschaftlich florierte und militärisch stark war, blieb es von einer Welt umgeben, die ihm größtenteils feindlich gesinnt war. Die Tatsache, dass Gabriel sich dafür entschieden hatte, in ebendieser Welt zu leben, gehörte zu Schamrons größten Enttäuschungen.
»Mich überrascht, dass er nicht selbst hergekommen ist«, sagte Gabriel.
»Er hat mit dem Gedanken gespielt.«
»Warum ist er nicht gekommen?«
»Reisen fallen ihm nicht mehr so leicht.«
»Was hat er diesmal?«
»Alles«, sagte Navot und zuckte seine schweren Schultern. »Er verlässt Tiberias kaum noch. Hockt nur auf der Terrasse und starrt auf den See hinaus. Damit treibt er Gilah zum Wahnsinn. Sie hat mich gebeten, irgendeine Beschäftigung für ihn zu finden.«
»Soll ich ihn besuchen?«
»Er liegt nicht auf dem Sterbebett, falls du das verstanden hast. Aber du solltest ihn bald mal wieder besuchen. Wer weiß? Vielleicht kommst du zu dem Schluss, dass du dein Land doch magst.«
»Ich liebe mein Land, Uzi.«
»Nur nicht genug, um dort zu leben.«
»Du hast mich schon immer an Schamron erinnert«, sagte Gabriel stirnrunzelnd, »aber jetzt ist die Ähnlichkeit geradezu unheimlich.«
»Das hat Gilah mir neulich auch erklärt.«
»Ich hab’s nicht als Kompliment gemeint.«
»Sie auch nicht.« Navot häufte umständlich einen weiteren Teelöffel Dickrahm auf seinen Scone.
»Wozu bist du also hier, Uzi?«
»Ich möchte dir eine einzigartige Chance eröffnen.«
»Du redest wie ein
Weitere Kostenlose Bücher