Der Hintermann
Lovegrove klatschte nie und machte keine zweifelhaften Geschäfte. Er gehörte zu den seltensten Erscheinungen im Kunsthandel: ein Mann, der Wort hielt.
Trotz seines glänzenden Rufs litt Lovegrove wie vor jeder großen Auktion unter seinem Lampenfieber, als er die Sixth Avenue entlanghastete. Nach jahrelangem Preisverfall und mickrigen Erlösen ließ der Kunstmarkt endlich wieder Anzeichen einer Erholung erkennen. Die ersten Versteigerungen der Saison hatten ahnsehnliche Ergebnisse gebracht, auch wenn sie nicht ganz den Erwartungen entsprochen hatten. Die heutige Abendauktion von Gegenwartskunst bei Christie’s besaß das Potenzial, dem Kunstmarkt neue Impulse zu geben. Wie üblich hatte Lovegrove Klienten in beiden Lagern. Zwei waren Verkäufer – im Fachjargon Einlieferer –, während ein Dritter das Los Nummer 12, Ocker und Rot auf Rot , Öl auf Leinwand, von Mark Rothko ersteigern wollte. Dieser Klient war insofern ein Unikum, als Lovegrove ihn nicht namentlich kannte. Er hatte nur Verbindung zu einem Herrn Hamdali in Paris, der wiederum mit dem Klienten in Verbindung stand. Dieses Arrangement war ungewöhnlich, aber aus Lovegroves Sicht höchst lukrativ. Allein in den vergangenen zwölf Monaten hatte dieser Sammler Gemälde für über zweihundert Millionen Dollar gekauft. Lovegroves Provision hatte über zwanzig Millionen Dollar betragen. Und wenn alles nach Plan verlief, würde er nach dem heutigen Abend wieder um ein paar Millionen reicher sein.
Lovegrove bog um die Ecke zur Forty-ninth Street und ging einen halben Block weit zum Eingang von Christie’s. Die hohe gläserne Eingangshalle glich einem Meer aus Brillanten, Seide, Egos und Collagen. Er blieb kurz stehen, um die parfümierte Wange der Erbin eines deutschen Verpackungsimperiums zu küssen, bevor er zur Garderobe weiterging, wo ihn prompt zwei unbedeutende Kunsthändler von der Upper East Side in ein Gespräch verwickeln wollten. Er wehrte sie mit einer Handbewegung ab, ließ sich sein Bieterpaddel geben und ging nach oben in den Versteigerungssaal.
Angesichts aller Intrigen und allen Glamours wirkte dieser Saal überraschend gewöhnlich – eine Mischung aus dem UN-Plenarsaal und der Kirche eines Fernsehpredigers. Die Wände waren in einem trüben Graubeige gehalten, das sich in den Klappstühlen fortsetzte, die eng zusammengerückt waren, um den beschränkten Platz bestmöglich zu nutzen. Hinter dem kanzelartigen Pult des Auktionators standen eine drehbare Ausstellungsvitrine und ein Tisch mit einem halben Dutzend Telefonen, an denen Angestellte von Christie’s saßen. Lovegrove sah zu den sogenannten »Himmels-Logen« auf, weil er hoffte, hinter dem getönten Glas einige Gesichter erkennen zu können, und wandte sich dann den in einer hinteren Ecke zusammengepferchten Journalisten zu. Er verdeckte die Nummer seines Paddels, als er an ihnen vorbei zu seinem Stammplatz in einer der vorderen Reihen hastete. Dort war das Gelobte Land, in dem alle Händler, Berater und Sammler eines Tages zu sitzen hofften. Kein Ort für zaghafte Gemüter oder Leute, die sparen mussten. Lovegrove bezeichnete ihn als »Todeszone«.
Die Versteigerung sollte um achtzehn Uhr beginnen. Francis Hunt, der Chefauktionator von Christie’s, gab dem nervösen Publikum fünf zusätzliche Minuten Zeit, seine Plätze zu finden, bevor er aufs Podium kam. Er besaß ausgezeichnete Manieren und verkörperte jene lässige britische Urbanität, die bei Amerikanern aus unerfindlichen Gründen noch immer Minderwertigkeitskomplexe auslöste. In der Rechten hielt er das berühmte »schwarze Buch«, das die Geheimnisse des Universums enthielt – zumindest was den heutigen Abend betraf. Jedem zur Versteigerung kommenden Los war darin eine eigene Seite mit Informationen gewidmet: der Mindestpreis des Einlieferers, ein Sitzplan mit der Position potenzieller Bieter und Hunts Strategie zur Erzielung eines möglichst hohen Preises. Lovegroves Name erschien auf der Seite für Los Nummer 12, dem Rothko. Bei einer Vorbesichtigung hatte er angedeutet, er könnte interessiert sein, aber nur wenn der Preis stimme und die Sterne richtig stünden. Aber Hunt wusste natürlich, dass Lovegrove tiefstapelte. Hunt wusste alles.
Er wünschte dem Publikum einen angenehmen Abend, bevor er wie ein Maître d’hôtel, der eine Vierergruppe aufruft, zur Sache kam: »Losnummer eins, der Twombly.« Sofort begann lebhaftes Bieten in 100 000-Dollar-Schritten. Der Versteigerer steuerte es geschickt
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