Der Hintermann
etwas ist, das ich tun möchte ? Er ist der Präsident , Gabriel. Ich kann seine Befehle ausführen oder den Dienst quittieren. Und ich habe nicht vor, mich schon pensionieren zu lassen.«
»Dann richten Sie dem Präsidenten bitte aus, dass ich ihm alles Gute wünsche«, sagte Gabriel. »Aber irgendwann sollten Sie ihn daran erinnern, dass Nadia nur den ersten Schritt hin zur Zerschlagung von Raschids Terrornetzwerk verkörpert. Das Ende wird weder sauber noch clever noch zukunftsorientiert sein. Ich will nur hoffen, dass Ihr Präsident zu seiner neuen Liebe steht, wenn später schwere Entscheidungen getroffen werden müssen.«
Die Fähre erzitterte leicht, als sie ein kurzes Stück die Holzbohlen der Anlegestelle entlangschrammte. Gabriel stand sofort auf. Carter stellte den Teller und die Tassen zusammen, ließ die Tüte unter sie gesteckt liegen und wischte die Krümel mit der Hand vom Tischtuch.
»Ich muss wissen, was Sie beabsichtigen.«
»Ich fahre in mein Operationszentrum zurück und erkläre meinem Team, dass wir heimreisen.«
»Ist das endgültig?«
»Ich drohe niemals.«
»Dann tun Sie mir einen Gefallen.«
»Welchen?«
»Fahren Sie langsam.«
Sie gingen im Abstand weniger Sekunden von Bord der Fähre und gelangten über den rutschigen Steg auf den kleinen Parkplatz neben der Anlegestelle. Carter stieg rechts vorn in einen Mercedes ein, der ihn über die Grenze bringen würde. Gabriel setzte sich ans Steuer seines Audis und raste über den Seedamm zum andere Ufer hinüber. Trotz Carters Ermahnung fuhr er sehr schnell. Deshalb kam er gerade vor dem sicheren Haus an, als der Amerikaner anrief, um eine neue operative Übereinkunft vorzuschlagen. Die Einsatzregeln waren klar und unzweideutig. Gabriel und sein Team würden ungehindert operieren können, solange sie dabei nicht den geheiligten Boden Saudi-Arabiens betraten. Dieser Punkt, sagte Carter, sei nicht verhandelbar. Der Präsident würde keinesfalls zulassen, dass der israelische Geheimdienst im Land von Mekka und Medina Unfug machte. Saudi-Arabien wäre ein Wendepunkt der Spielregeln. Saudi-Arabien war für Gabriel und sein Team absolut verboten. Sobald das Unternehmen die saudi-arabische Grenze überschreite, sagte Carter, seien alle früheren Vereinbarungen nichtig. Gabriel trennte die Verbindung, blieb noch einige Zeit in der Dunkelheit im Auto sitzen und überlegte, was er tun sollte. Zehn Minuten später rief er Carter an und akzeptierte widerstrebend die neuen Bedingungen. Dann ging er in das sichere Haus und teilte seinem Team mit, dass ihre Spielzeit abgelaufen sei.
38
P ARIS
Im ersten Stock ihrer weitläufigen Stadtvilla in der Avenue Foch hatte Nadia al-Bakari sich ein behagliches Refugium eingerichtet. Es bestand aus einem Büro, einem Wohnzimmer, einem Trainingsraum, einem Ankleidezimmer, ihrem Schlafzimmer mit Bad und einer privaten Galerie, in der ihre zwölf liebsten Gemälde hingen. In allen Räumen verteilt standen gerahmte Fotos ihres Vaters. Er lächelte auf keinem, sondern zog es vor, das traditionelle ›zornige Gesicht‹ der arabischen Beduinen aufzusetzen. Die einzige Ausnahme war ein Schnappschuss, den Nadia am letzten Tag seines Lebens an Bord der Alexandra von ihm gemacht hatte. Seine Miene war leicht melancholisch, als ahne er, welches Schicksal ihn später am selben Abend im Alten Hafen von Cannes ereilen würde.
Dieses in Silber gerahmte Foto hatte einen Ehrenplatz auf Nadias Nachttisch. Daneben stand eine Uhr von Thomas Tompion, die ihr Vater für zweieinhalb Millionen Dollar ersteigert und ihr zum fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. In letzter Zeit ging sie einige Minuten vor, was Nadia auf fast unheimliche Weise passend fand. Sie hatte die kostbare Tischuhr immer wieder angestarrt, seit sie um drei Uhr aufgeschreckt war. Obwohl sie sich nach Koffein sehnte und einsetzende Kopfschmerzen spürte, blieb sie unbeweglich in ihrem großen Bett liegen. Im letzten Ausbildungsabschnitt hatte Gabriel sie ermahnt, ihren gewohnten Tagesablauf unbedingt beizubehalten – einen Tagesablauf, den das Hauspersonal und ihre persönlichen Mitarbeiter auswendig kannten. Nadia stand jeden Morgen um Punkt sieben Uhr auf, keine Minute früher, keine Minute später. Ihr Frühstückstablett hatte auf dem Sideboard in ihrem Büro zu stehen. Wurde nichts anderes gewünscht, standen darauf eine Thermoskanne mit Café filtre , ein Kännchen aufgeschäumte Milch, ein Glas frisch gepresster Orangensaft und zwei Scheiben
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