Der Hintermann
am Konferenztisch gegenüber, auf dem als einzige Erfrischung Schweizer Mineralwasser stand, das keiner von ihnen anrührte. Zwischen ihnen lagen zwei Smartphones mit dunklen Bildschirmen und herausgenommenen SIM-Karten. Samir Abbas, der den Blick von Nadias unverschleiertem Gesicht abgewandt hatte, schien den Kronleuchter über sich zu studieren. Zwischen dessen Glühbirnen und Kristallgehängen war der Miniatursender versteckt, den Oded und Mordechai an diesem Vormittag installiert hatten. Jetzt hörten sie das Gespräch der beiden in einem Zimmer im dritten Stock mit, für das der National Clandestine Service der Central Intelligence Agency aufkommen würde. Gabriel, der am anderen Seeufer über eine sichere Mikrowellenverbindung mithörte, bewegte dabei leicht die Lippen, als wolle er Nadia ihren Text einflüstern.
»Ich möchte damit beginnen, dass ich mich aufrichtig bei Ihnen entschuldige«, sagte sie.
Abbas wirkte kurz verwundert. »Sie haben bei meiner Bank neulich ein Konto mit zweihundert Millionen Dollar eröffnet, Frau al-Bakari. Ich wüsste nichts, was es da zu entschuldigen gäbe.«
»Kurz nach dem Tod meines Vaters haben Sie mich um eine Spende für eine Ihnen nahestehende islamische Wohltätigkeitsorganisation gebeten. Und ich habe Sie abgewiesen – ziemlich barsch, wenn ich mich recht erinnere.«
»Es war falsch von mir, Sie in einer so schwierigen Zeit zu belästigen.«
»Ich weiß, dass Sie nur mein Bestes wollten. Die Zakat ist ein besonders wichtiger Bestandteil unseres Glaubens. Tatsächlich hat mein Vater die Almosensteuer für die wichtigste der fünf Säulen des Islams gehalten.«
»Ihr Vater war ungemein großzügig. Ich konnte immer auf ihn zählen, wenn wir bedürftig waren.«
»Er hat immer sehr lobend von Ihnen gesprochen, Herr Abbas.«
»Und auch von Ihnen, Frau al-Bakari. Ihr Vater hat Sie sehr geliebt. Ich kann mir vorstellen, wie schwer Sie unter diesem Verlust leiden. Trösten Sie sich mit dem Wissen, dass Ihr Vater bei Allah im Paradies ist.«
» Inschallah «, sagte Nadia schwermütig, »doch habe ich seit seiner Ermordung keinen ruhigen Tag mehr gehabt. Und das Wissen, dass seine Mörder nie bestraft worden sind, hat meinen Schmerz noch vermehrt.«
»Sie haben ein Recht auf Ihren Zorn. Das haben wir alle. Die Ermordung Ihres Vaters war eine Beleidigung aller Muslime.«
»Aber wohin soll ich mit diesem Zorn?«
»Fragen Sie mich um Rat, Frau al-Bakari?«
»Nur in spiritueller Hinsicht«, erwiderte sie. »Ich weiß, dass Sie ein zutiefst gläubiger Mann sind.«
»Wie Ihr Vater«, sagte er.
»Wie mein Vater«, wiederholte sie leise.
Abbas sah ihr kurz ins Gesicht, bevor er wieder den Blick abwandte. »Der Koran ist mehr als die Offenbarung Allahs«, sagte er. »Er ist auch ein Gesetzbuch, das alle Aspekte unseres Lebens regelt. Und er bestimmt unter dem Stichwort al-Quizas eindeutig, was im Fall eines Mordes zu tun ist. Als nächste Verwandte haben Sie die Wahl zwischen drei Optionen: Sie können den Schuldigen einfach aus der Güte Ihres Herzens verzeihen. Sie können eine finanzielle Entschädigung als Blutgeld akzeptieren. Oder Sie können dem Mörder antun, was er dem Opfer angetan hat, wobei aber kein Unschuldiger zu Tode kommen darf.«
»Die Männer, die meinen Vater ermordet haben, waren professionelle Attentäter. Sie sind von Dritten angewiesen worden.«
»Dann waren die eigentlichen Mörder die Auftraggeber der Auftragskiller.«
»Und wenn ich mich nicht dazu durchringen kann, ihnen zu verzeihen?«
»Dann ist es nach Allahs Gebot Ihr Recht, sie zu töten. Aber ohne dass dabei Unschuldige zu Tode kommen«, fügte er hastig hinzu.
»Ein schwieriges Vorhaben, finden Sie nicht auch, Herr Abbas?«
Die einzige Reaktion des Bankers war die, Nadia nun ohne die geringste Spur islamischer Sittsamkeit prüfend ins Gesicht zu starren.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte Nadia.
»Ich weiß, wer Ihren Vater ermordet hat, Frau al-Bakari. Und ich weiß, weshalb er ermordet wurde.«
»Dann wissen Sie auch, dass es mir nicht möglich ist, seine Mörder nach islamischem Recht zu bestrafen.« Sie machte eine Pause, bevor sie hinzufügte: »Nicht ohne Hilfe.«
Abbas griff nach ihrem ausgeschalteten Blackberry und begutachtete es schweigend.
»Sie brauchen nicht nervös zu sein«, sagte Nadia ruhig.
»Weshalb sollte ich nervös sein? Ich verwalte Konten superreicher Kunden der TransArabian Bank. Und in meiner Freizeit treibe ich Spenden für legitime
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