Der Hintermann
laserartig in Gabriels Auge.
»Muss das sein?«, fragte er blinzelnd.
»Setz dich hin.«
Sie nahm ein Dossier vom Nachttisch und gab es ihm. Als Gabriel es aufschlug, sah er erstmals Samir Abbas’ Gesicht. Der hagere, bebrillte Mittvierziger trug einen modischen Dreitagebart und hatte nachdenkliche braune Augen und eine ziemlich ausgeprägte Stirnglatze. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war er zu Fuß in einem Zürcher Wohngebiet unterwegs gewesen. Er trug einen grauen Anzug, die Uniform eines Schweizer Bankers, mit silberner Krawatte. Sein Aktenkoffer sah so teuer aus wie seine Schuhe. Sein Mantel war aufgeknöpft, und er trug keine Handschuhe. Mit der linken Hand hielt er ein Mobiltelefon an sein Ohr gedrückt.
»Das ist der Mann, der dir helfen wird, eine Terrorgruppe zu kaufen«, sagte Chiara. »Samir Abbas, 1967 in Amman geboren, Absolvent der London School of Economics und seit 1998 bei der TransArabian Bank.«
»Wo wohnt er?«
»Oben in Hottingen, in der Nähe der Universität. Bei gutem Wetter geht er seiner Figur wegen zu Fuß zur Bank. Bei schlechtem fährt er mit der Tram vom Römerhof ins Bankenviertel hinunter.«
»Mit welcher?«
»Natürlich mit der Nummer acht. Welche sollte er sonst nehmen?«
Chiara lächelte. Ihre Kenntnis europäischer Nahverkehrsnetze war ebenso legendär wie die Gabriels.
»Seine Adresse?«
»Carmenstrasse vier. Ein kleines, nicht sonderlich modernes Wohngebäude mit sechs Apartments.«
»Verheiratet?«
»Sieh dir das nächste Bild an.«
Die Aufnahme zeigte eine Frau auf derselben Straße. Sie war westlich gekleidet bis auf ihr schwarzes Kopftuch, das ein kindlich anmutendes Gesicht umrahmte. An der linken Hand hatte sie einen Jungen von etwa vier Jahren. An der rechten Hand hielt sie ein Mädchen von acht oder neun Jahren.
»Sie heißt Johara – ›Juwel‹ auf Arabisch. Sie arbeitet in Teilzeit als Lehrerin in einem islamischen Gemeindezentrum im Westen der Stadt. Das Mädchen besucht dort Kurse. Der Junge ist ganztägig im Kindergarten. Beide Kinder sprechen fließend Schwyzerdütsch, aber Johara zieht verständlicherweise Arabisch vor.«
»Besucht Samir eine Moschee?«
»Er betet meist bei sich zu Hause. Sehr zu seinem Ärger lieben die Kinder amerikanische Comics. Aber Musik dürfen sie keine hören. Musik ist streng verboten.«
»Weiß Johara von Samirs wohltätigen Werken?«
»Da sie den gleichen Computer benutzen, wären sie schwer zu übersehen.«
»Wo steht der?«
»Im Wohnzimmer der Familie. Wir haben ihn am zweiten Tag nach unserer Ankunft geknackt. Jetzt liefert er brauchbare Bilder mit gutem Ton. Außerdem lesen wir seine Mails mit und sehen ihm beim Surfen im Internet zu. Dein Freund Samir hat eine nicht sehr dschihadistische Vorliebe für Pornos.«
»Was ist mit seinem Handy?«
»Damit hat’s ein bisschen gedauert, aber wir sind schließlich doch drangekommen.« Chiara deutete auf das Foto von Samir. »Er trägt es in der rechten Manteltasche. Wir haben es rausgeholt, als er mit der Tram zur Arbeit gefahren ist.«
»Wir?«
»Jaakov hat ihn abgeschirmt, Oded hat das Handy geklaut, Mordechai war für’s Technische zuständig. Er hat es umgebaut, während Samir Zeitung gelesen hat. Das Ganze hat nur zwei Minuten gedauert.«
»Wieso hat mir niemand davon erzählt?«
»Wir wollten dich nicht damit belästigen.«
»Sonst noch was, das du zu erzählen vergessen hast?«
»Nur noch eines«, sagte Chiara.
»Was denn?«
»Wir werden beobachtet.«
»Von den Schweizern?«
»Nein, nicht von denen.«
»Von wem sonst?«
»Dreimal darfst du raten. Die beiden ersten Versuche zählen nicht.«
Gabriel schnappte sich sein abhörsicheres Blackberry vom Nachttisch und begann zu tippen.
36
Z ÜRICHSEE
Adrian Carter brauchte fast achtundvierzig Stunden, um den Weg nach Zürich zu finden. Er traf am frühen Nachmittag am Bug einer Fähre, die zur fast dreißig Kilometer von Zürich entfernten Stadt Rapperswil-Jona übersetzte, mit Gabriel zusammen. Er trug einen beigen Regenmantel und hatte ein Exemplar der Neuen Zürcher Zeitung unter dem Arm. Die Zeitung war nass vom Schnee.
»Mich wundert, dass Sie nicht gleich Ihren Dienstausweis umhängen haben«, sagte Gabriel.
»Ich habe mich auf der Reise hierher vorgesehen.«
»Wie sind Sie geflogen?«
»Economy plus«, sagte Carter missmutig.
»Haben Sie den Schweizern Ihre Ankunft avisiert?«
»Soll das ein Witz sein?«
»Wo übernachten Sie?«
»Gar nicht.«
Gabriel sah über Carters Schulter zu der
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