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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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fahren, stöberte er in lateinischen und griechischen Texten herum – Corvinus besaß reichlich davon, wissen Sie –, um dort irgendwelche Verweise auf Vampire zu finden. Tatsächlich stieß er auf diese alte griechische Idee, die mir nirgends sonst begegnet ist, wenigstens nicht, bis Sie gerade davon gesprochen haben, diese Idee vom Geist in der Amphore. Im alten Griechenland, und in den griechischen Tragödien, enthielt eine Amphore manchmal menschliche Asche, und das einfache, unwissende Volk glaubte nun, wenn bei der Beisetzung der Amphore etwas schief ging, konnte sie einen Vampir produzieren. Ich bin allerdings noch nicht sicher, wie. Vielleicht weiß Professor Rossi etwas darüber, wenn er über Geister in Amphoren schreibt. Was für ein Zufall, nicht wahr? Wobei es auch heute in Griechenland noch Vampire geben soll, glaubt man den Volksgeschichten.‹
    ›Ich weiß‹, sagte ich. ›Den vrykolakas.‹
    Jetzt war Hugh James an der Reihe, erstaunt auszusehen. Seine hervorstehenden braunen Augen wurden riesig. ›Woher wissen Sie das?‹, sagte er. ›Ich meine… Entschuldigen Sie… Ich bin einfach überrascht, jemanden zu treffen, der…‹
    ›Sich für Vampire interessiert?‹, fragte ich trocken. ›Ja, das hat mich früher auch überrascht, aber in letzter Zeit gewöhne ich mich daran. Wie hat es bei Ihnen mit dem Interesse angefangen, Professor James?‹
    ›Hugh‹, sagte er langsam. ›Bitte nennen Sie mich Hugh. Nun, ich…‹ Er sah mich eindringlich an, und zum ersten Mal fiel mir unter dem fröhlichen, brummenden Äußeren eine Intensität auf, die wie ein Feuer zu glühen schien. ›Es ist so fürchterlich merkwürdig, und normalerweise erzähle ich niemandem davon, aber…‹
    Ich konnte es kaum mehr abwarten. ›Haben Sie zufällig ein altes Buch gefunden mit einem Drachen in der Mitte?‹, fragte ich.
    Er sah mich fast wie wahnsinnig an, und alle Farbe wich aus seinem so gesunden Gesicht. ›Ja‹, sagte er. ›Ich fand ein Buch.‹ Seine Hände packten die Tischplatte. ›Wer sind Sie?‹
    ›Ich habe auch eins gefunden.‹
    Wir sahen uns ein paar lange Sekunden an und hätten womöglich auch noch länger sprachlos dagesessen und alles hinausgeschoben, was es zu besprechen gab, wären wir nicht unterbrochen worden. Géza Jozsefs Stimme drang in mein Ohr, noch bevor ich mir seiner Anwesenheit bewusst geworden war. Er trat von hinten an den Tisch und beugte sich mit einem freundlichen Lächeln darüber. Helen kam ebenfalls herbeigeeilt, und ihr Gesicht wirkte seltsam, fast schuldig, dachte ich. ›Guten Tag, Genosse‹, sagte er herzlich. ›Was reden Sie da von gefundenen Büchern?‹

 
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    Als Professor Jozsef sich mit seiner freundlichen Frage über unseren Tisch beugte, wusste ich erst nicht, was ich sagen sollte. Ich musste so bald wie möglich wieder mit Hugh James sprechen, aber ungestört und nicht in dieser Menschenansammlung, und schon gar nicht mit genau der Person im Nacken, vor der mich Helen – warum? – so ausdrücklich gewarnt hatte. Endlich brachte ich ein paar Worte heraus. ›Wir unterhalten uns über unsere gemeinsame Liebe zu alten Büchern‹, sagte ich. ›Dem sollte eigentlich jeder Wissenschaftler zustimmen können, meinen Sie nicht?‹
    Mittlerweile stand auch Helen bei uns und warf mir einen Blick zu, in dem ich Besorgnis und Zustimmung las. Ich erhob mich, um ihr einen Stuhl heranzuziehen. Trotz meiner Not, vor Géza Jozsef nichts Falsches zu sagen, muss sie meine Erregung gespürt haben, denn sie sah fragend von mir zu Hugh hinüber. Géza betrachtete uns freundlich, aber es kam mir so vor, als hätten sich seine gut aussehenden Augen etwas verengt. Genauso, dachte ich, müssen die Hunnen durch die Schlitze in ihren Lederhelmen in die westliche Sonne geblinzelt haben. Ich versuchte, ihn nicht wieder anzusehen.
    Wir hätten den ganzen Tag dort bleiben können, Blicke parierend oder ihnen ausweichend, wäre nicht Professor Sandor plötzlich erschienen. ›Sehr gut‹, trompetete er. ›Ich sehe, Sie genießen Ihr Essen. Sind Sie fertig? Und jetzt, wenn Sie so ausgesprochen freundlich sein wollen, kommen Sie mit mir, und wir werden dafür sorgen, dass Ihr Vortrag beginnen kann.‹
    Ich zuckte kurz zusammen. Ich hatte tatsächlich für ein paar Minuten vergessen, welche Folter auf mich wartete, stand aber gehorsam auf. Géza trat respektvoll hinter Professor Sandor zurück. Ein bisschen zu respektvoll?, fragte ich mich. Jedenfalls verschaffte es mir

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