Der Historiker
Auditorium auszusprechen, denn als ich begann, sein Pfählen von zwanzigtausend türkischen Soldaten zu beschreiben, holte ich mit der Hand ein wenig zu plötzlich aus und stieß mein Wasserglas um.
›Oh, das tut mir Leid!‹, rief ich aus und sah betrübt in eine Menge wohlwollender Gesichter – wohlwollend bis auf zwei. Helen sah blass und angespannt aus, und Géza Jozsef beugte sich ohne jedes Lächeln vor, als sei er äußerst interessiert an meinem kleinen Missgeschick. Der Student mit dem blauen Hemd und Professor Sandor beeilten sich zugleich, mir mit ihren Taschentüchern zu Hilfe zu kommen, und schon kurz darauf konnte ich fortfahren, was ich mit all der Würde, die ich aufzubringen vermochte, auch tat. Ich wies darauf hin, dass, auch wenn die Türken Vlad Dracula und seine zahlreichen Genossen – ich dachte, das Wort sollte ich irgendwo einbauen – am Ende überwunden hätten, es doch über Generationen immer wieder zu Aufständen dieser Art gekommen sei, bis eine örtliche Revolution nach der anderen das Osmanische Reich zu Fall gebracht habe. Es sei der regional begrenzte Charakter dieser Aufstände gewesen, verbunden mit der Fähigkeit, nach jedem Angriff wieder im eigenen Terrain unterzutauchen, der am Ende den mächtigen osmanischen Militär- und Verwaltungsapparat unterminiert habe.
Eigentlich hatte ich auf elegantere Weise schließen wollen, aber mein letzter Satz schien dem Auditorium zu gefallen, und Applaus brandete auf. Zu meiner eigenen Überraschung war ich fertig mit meinem Vortrag. Nichts Schlimmes war vorgefallen.
Helen fiel sichtlich erleichtert auf ihrem Stuhl zurück, und Professor Sandor kam strahlend auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. Ganz hinten im Publikum entdeckte ich Èva, die mir ihr reizendes Lächeln schenkte und mit ausladenden Bewegungen in die Hände klatschte. Etwas fehlte jedoch im Raum, und ich stellte fest, dass Gézas stattliche Gestalt nicht mehr zu sehen war. Mir war nicht aufgefallen, dass er hinausgegangen war, aber vielleicht war ihm das Ende meines Vortrags zu langweilig gewesen.
Sobald ich vom Mikrofon zurücktrat, standen alle auf und begannen, sich in einem wilden Durcheinander von Sprachen zu unterhalten. Drei oder vier der ungarischen Historiker kamen, um mir die Hand zu schütteln und mich zu beglückwünschen. Professor Sandor strahlte. ›Ausgezeichnet!‹, rief er. ›Es ist mir eine große Freude, dass Sie in Amerika so gut unsere transsilvanische Geschichte verstehen.‹ Ich fragte mich, was er denken würde, wenn er wüsste, dass ich all das von einer seiner Kolleginnen gelernt hatte, an einem kleinen Restauranttisch in Istanbul.
Éva kam ebenfalls auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie küssen oder schütteln sollte, entschied mich dann aber für Letzteres. Sie kam mir heute zwischen all den Männern in ihren schäbigen Anzügen noch größer und ehrwürdiger vor. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid und schwere goldene Ohrringe, und ihr Haar, das lockig unter einem kleinen grünen Hut hervordrängte, hatte über Nacht die Farbe gewechselt, von Magenta zu Schwarz.
Helen gesellte sich dazu, und mir fiel auf, wie förmlich die beiden in diesem Rahmen miteinander umgingen. Es war kaum zu glauben, dass Helen am Abend zuvor Éva in die Arme gelaufen war. Helen übersetzte: ›Eine sehr gute Arbeit, junger Mann. Ich habe die Gesichter der Leute studiert, und es ist Ihnen gelungen, keinen zu beleidigen, was heißt, dass Sie wahrscheinlich nicht viel gesagt haben. Aber Sie haben aufrecht auf dem Podium gestanden und ihrem Publikum gerade in die Augen gesehen – das wird Sie weit bringen.‹ Tante Éva bettete ihre Bemerkungen in ein schillerndes Lächeln, bei dem sie ihre ebenmäßigen Zähne zeigte.
›Jetzt muss ich nach Hause, ich habe noch ein paar Arbeiten zu erledigen, aber wir sehen uns morgen Abend zum Essen. Dazu können wir im Hotel bleiben.‹ Ich hatte nicht gewusst, dass wir noch einmal zusammen essen würden, aber ich freute mich darüber. ›Es tut mir so Leid, dass ich Sie nicht richtig bei mir zu Hause bekochen kann‹, dolmetschte Helen. ›Aber wenn ich Ihnen sage, dass mein Haus eine Baustelle ist wie der Rest der Stadt, werden Sie mich sicher verstehen. Ich kann niemanden das Durcheinander in meinem Esszimmer sehen lassen.‹ Ihr Lächeln nahm einem alle Konzentration, dennoch gelang es mir, zwei Informationen aus dem, was sie sagte, zu ziehen: die eine, dass sie in dieser Stadt
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