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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Paul!‹, sagte er voller Dringlichkeit.
    ›Was ist?‹ Hugh und ich drehten uns gleichzeitig um und sahen ihn an. Er war ein großer, etwas nach vorn gebeugter Mann in einer blauen Dienstkleidung, und er trug einen Schnurrbart, der auch einem Hunnenkrieger gut zu Gesicht gestanden hätte. Er zog mich zu sich heran, um leise sprechen zu können, und ich vermochte Hugh zu signalisieren, noch nicht zu gehen. Es war sonst niemand zu sehen, und ich wollte nicht unbedingt allein dastehen, wenn es eine neue Krise gab.
    ›Herr Paul, ich weiß, wer heute Nachmittag in Ihrem Zimmer war.‹
    ›Was? Wer?‹, sagte ich.
    ›Hmm, hmm.‹ Der Angestellte fing fast an zu summen, ließ den Blick schweifen und suchte auf eine Weise in seiner Jackentasche herum, die ich nicht verstand. Ich fragte mich schon, ob er vielleicht verrückt sei.
    ›Er will Geld‹, sagte mir Hugh.
    ›Oh, zum Teufel nochmal‹, sagte ich verzweifelt, aber die Augen des Mannes wurden glasig, und erst als ich zwei große ungarische Banknoten aus der Tasche fischte, strahlten sie wieder. Geradezu verstohlen nahm er sie und ließ sie in seiner Tasche verschwinden, sagte aber nichts, um meine Kapitulation anzuerkennen.
    ›Herr Amerikaner‹, flüsterte er. ›Ich weiß, es war nicht ein Mann heute Nachmittag. Es waren zwei Männer. Einer zuerst, sehr wichtiger Mann. Dann anderer. Ich sehe ihn, als ich mit einem Koffer zu anderem Zimmer ging. Dann sehe ich beide. Sie reden. Sie gehen zusammen weg.‹
    ›Hat sie niemand aufgehalten?‹, fuhr ich ihn an. ›Wer waren sie? Waren es Ungarn?‹ Der Mann sah sich wieder um, und ich unterdrückte das Verlangen, ihn bei der Kehle zu packen. Diese Überwachungsatmosphäre kostete mich Nerven. Ich muss ziemlich wütend ausgesehen haben, weil mir Hugh beschwichtigend die Hand auf den Arm legte.
    ›Wichtiger Mann Ungar. Anderer Mann nicht Ungar.‹
    ›Woher wissen Sie das?‹
    Er senkte die Stimme. ›Ein Mann Ungar, aber sie sprechen Änglisch miteinander.‹ Das war alles, was er sagen wollte, trotz meiner immer drohenderen Fragen. Da er offenbar entschieden hatte, mir für meine Forint genug Informationen gegeben zu haben, hätte ich womöglich nie wieder ein Wort von ihm gehört, aber plötzlich schien etwas seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er blickte an mir vorbei, und ich folgte seinem Blick durch das große Fenster neben dem Hoteleingang. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich dort ein hungriges, hohläugiges Gesicht, das ich nur zu gut kannte und das in ein Grab und nicht auf die Straße gehörte. Der Hotelangestellte stotterte und hielt sich krampfhaft an meinem Arm fest. ›Das er ist, mit Teufelsgesicht – änglischer Mann!‹
    Es muss ein Heulen gewesen sein, mit dem ich den Angestellten abschüttelte und zur Tür rannte. Hugh packte mit großer Geistesgegenwart (wie ich später erst bemerkte) einen Schirm aus dem Ständer bei der Rezeption und schoss hinter mir her. Selbst in meiner Erregung hielt ich meine Aktentasche fest gepackt, auch wenn sie mich beim Laufen behinderte. Wir rannten hierhin und dorthin, die Straße hinunter und zurück, aber es hatte keinen Sinn. Ich hatte den Kerl nicht mal wegrennen hören, und so konnte ich nicht sagen, welche Richtung er eingeschlagen hatte.
    Schließlich gab ich auf, lehnte mich an die Mauer eines Gebäudes und versuchte zu Atem zu kommen. Hugh keuchte ebenfalls. ›Wer war das?‹
    ›Der Bibliothekar‹, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. ›Der, der uns bis nach Istanbul gefolgt ist. Ich bin sicher, er war es.‹
    ›Großer Gott.‹ Hugh wischte sich mit dem Ärmel die Stirn ab. ›Was macht der denn hier?‹
    ›Er versucht, an den Rest meiner Aufzeichnungen zu kommen‹, schnaufte ich. ›Er ist ein Vampir, wenn Sie mir das glauben können, und nun haben wir ihn in diese schöne Stadt gebracht.‹ Tatsächlich sagte ich noch mehr als das, und Hugh muss in meiner Rede sämtliche amerikanischen Verbalisierungen von Wut gehört haben. Der Gedanke, dass ich diesen Fluch hinter mir herzog, trieb mir die Tränen in die Augen.
    ›Kommen Sie‹, sagte Hugh tröstend. ›Hier gab es schon früher Vampire, wie wir wissen.‹ Aber sein Gesicht war leichenblass, und er sah sich mehrfach um, den Schirm fest in der Hand.
    ›Verdammt!‹ Ich schlug mit der Faust gegen die Mauer des Gebäudes.
    ›Sie müssen auf der Hut sein‹, sagte Hugh nüchtern. ›Ist Miss Rossi schon zurück?‹
    ›Helen!‹ Ich hatte nicht an sie gedacht, und Hugh schien ein

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