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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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vor dem Altar, auf den ein Porträt Vlad Draculas und ein paar lateinische Worte gemalt waren. Was ihn wunderte, war, dass das übliche Kreuz auf dem Stein fehlte. Die Inschrift, die ich sorgfältig abschrieb – aus welchem Instinkt heraus, weiß ich nicht –, war wie gesagt auf Latein abgefasste Hugh senkte die Stimme, warf einen Blick hinter sich und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
    ›Nachdem ich sie aufgeschrieben und eine Weile damit gekämpft hatte, las ich mir meine Übersetzung laut vor: Leser, befreie ihn mit einem… Sie wissen, wie es weitergeht. Draußen regnete es immer noch stark, und ein Fenster, das sich irgendwo in der Bibliothek geöffnet haben musste, schlug auf und wieder zu. Ich fühlte einen feuchten Luftzug und schreckte derart zusammen, dass ich meine Tasse umwarf und etwas Tee auf das Buch schüttete. Während ich das Buch trockentupfte und mich schrecklich fühlte wegen meiner Unbeholfenheit, fiel mein Blick auf meine Uhr: Es war bereits eins, und ich musste nach Hause zum Essen. Es schien sonst nichts Wichtiges in der Bibliothek zu geben, also stellte ich die Bücher zurück, dankte der Hausbetreuerin und machte mich auf den Heimweg. Es war Juni, und links und rechts vom Weg blühten die Rosen.
    Als ich zum Haus meiner Eltern kam und erwartete, sie und vielleicht auch Elsie bereits um den Tisch versammelt vorzufinden, musste ich feststellen, dass alles in Aufruhr war. Einige Freunde und Nachbarn waren da, und meine Mutter weinte. Mein Vater sah sehr bestürzt aus.‹ Hugh machte eine Pause und zündete sich eine weitere Zigarette an. Das Streichholz zitterte in der hereinbrechenden Dunkelheit. ›Er legte mir eine Hand auf die Schulter und teilte mir mit, dass es auf der Hauptstraße einen Autounfall gegeben habe, als Elspeth mit einem geliehenen Wagen vom Einkaufen aus dem Nachbarort zurückgekommen sei. Es habe stark geregnet, und sie glaubten, dass meine Verlobte etwas gesehen und das Steuer herumgerissen habe. Sie sei nicht tot, dem Herrn sei Dank, aber schwer verletzt. Ihre Eltern seien gleich ins Krankenhaus gefahren, meine hätten auf mich gewartet, um es mir zu sagen.
    Ich besorgte mir ein Auto und fuhr so schnell ins Krankenhaus, dass ich selbst fast verunglückt wäre. Sie wollen das alles sicher nicht hören, aber… Sie lag mit verbundenem Kopf da und weit geöffneten Augen. So sah sie aus. Sie lebt heute in einer Art Heim, wo man sie gut versorgt, aber sie spricht nicht und versteht nicht viel und kann nicht ohne Hilfe essen. Das Furchtbare daran ist…‹ Seine Stimme begann zu zittern. ›Das Furchtbare ist, dass ich immer angenommen habe, es wäre ein Unfall gewesen, wirklich ein Unfall, aber nun, wo ich Ihre Geschichte höre von Rossis Freund Hedges und Ihrer… Ihrer Katze… da weiß ich plötzlich nicht mehr, was ich denken soll.‹ Wieder zog er kräftig an seiner Zigarette.
    Ich atmete tief aus. ›Es tut mir so Leid. Wirklich. Ich wünschte, ich wüsste, was ich Ihnen sagen kann. Was für ein Schicksal für Sie!‹
    ›Danke.‹ Er versuchte, etwas von seiner Haltung zurückzugewinnen. ›Es ist ein paar Jahre her, wissen Sie, und die Zeit hilft. Es ist einfach nur, dass…‹
    Ich wusste nicht und weiß es bis heute nicht, was am Ende dieses Satzes hing, den er nicht beendete – die nutzlosen Worte, die unaussprechliche Litanei des Verlustes. Wir saßen da, und die Vergangenheit schwebte zwischen uns. Ein Kellner kam und stellte eine gläserne Laterne mit einer Kerze auf unseren Tisch. Das Lokal füllte sich mit Menschen, und von drinnen war lautes Gelächter zu hören.
    ›Ich bin ganz überwältigt von dem, was Sie gerade über Snagov erzählt haben‹, sagte ich nach einer Weile. ›AU die Dinge über das Grab waren mir völlig unbekannt – die Schrift, meine ich, das gemalte Gesicht und das fehlende Kreuz. Dass die Inschrift mit dem übereinstimmt, was Rossi im Archiv in Istanbul auf den Karten gefunden hat, ist von größter Bedeutung, denke ich. Es beweist, dass Snagov zumindest der ursprüngliche Begräbnisort von Dracula war.‹ Ich drückte mir die Finger gegen die Schläfen. ›Nur, warum stimmt dann die Karte – die Drachenkarte in den Büchern und im Archiv – nicht mit der Topografie Snagovs überein. Dem See, der Insel?‹
    ›Ich wünschte, das wüsste ich.‹
    ›Haben Sie Ihre Nachforschungen zu Dracula danach fortgesetzt?‹
    ›Die ersten Jahre nicht.‹ Hugh James drückte seine Zigarette aus. ›Ich brachte es nicht übers Herz.

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