Der Historiker
spezialisiert hat und in diesem Sommer dort draußen Grabungen macht. Das hat mich natürlich sofort ungeheuer gereizt, und so habe ich mich samt Karten und Taschen und so weiter in die Hände eines Mannes begeben, der mich heute hinausfahren wird. Es sind nur ein paar Stunden Autofahrt von Bukarest, sagt er, und wir brechen um ein Uhr auf Ich muss noch irgendwo etwas essen, bevor wir fahren. Die kleinen Restaurants hier sind ungewöhnlich nett, und auf den Speisekarten flackert immer wieder leichter orientalischer Luxus auf.
Abends, am Snagov-See Mein lieber Freund,
ich muss einfach mit unserer unechten Korrespondenz fortfahren (auf dass sie sich am Ende vor deinen Augen entfaltet), weil es so ein bemerkenswerter Tag war, dass ich einfach jemandem davon erzählen muss. Ich verließ Bukarest in einer Art kompaktem kleinem Taxi, das von einem ebenso kompakten kleinen Mann gesteuert wurde, mit dem ich kaum zwei Worte wechseln konnte (»Snagov« war eines davon). Nach einer kurzen Besprechung mit meinen Straßenkarten und vielen beruhigenden Schlägen auf die Schulter (meine Schulter, besser gesagt) brachen wir auf. Wir brauchten den ganzen Nachmittag, tuckerten in aller Regel über Pflasterstraßen, die sehr staubig waren, und durch eine hübsche, meist bäuerliche Landschaft, aber manchmal auch durch Wälder, Richtung Snagov-See.
Der erste Hinweis auf den See war die aufgeregt winkende Hand des Fahrers, woraufhin ich aus dem Fenster sah und nur Wald erkennen konnte. Das war jedoch nur die Einführung. Ich weiß nicht recht, was ich erwartet hatte. Ich nehme an, ich hatte mich so in meiner Historiker-Neugier verstrickt, dass ich gar nicht erst dazu gekommen war, etwas Bestimmtes zu erwarten. Der erste Blick auf den See riss mich jedoch aus meiner Besessenheit. Es ist ein außergewöhnlich schöner Ort, mein Freund, bukolisch und wie von einer anderen Welt. Stell dir eine lang gestreckte glitzernde Wasserfläche vor, auf die du von der Straße aus Blicke durch dichte Baumgruppen erhaschst. Hier und da sind in den Wald um den See elegante Willen gebettet – oft sieht man nur einen schlanken Kamin, eine sich windende Mauer –, von denen viele aus dem frühen letzten Jahrhundert zu stammen scheinen, öder von noch früher.
Wenn du an eine Öffnung des Waldes kommst – wir parkten bei einer Art kleinem Restaurant, an dessen Stegen drei Boote vertäut lagen –, kannst du über den See zu der kleinen Insel mit dem Kloster sehen, und damit hast du ein Panorama, jetzt endlich, das sich mit Sicherheit über die fahre nur wenig verändert hat. Die Insel liegt nur eine kurze Bootsfahrt entfernt und ist wie die Ufer des Sees bewaldet. Über die Bäume erheben sich die herrlichen byzantinischen Kuppeln der Klosterkirche, und das Läuten der Glocken schallt über das Wasser. Wie ich später erfuhr, werden die Glocken von den Mönchen mit hölzernen Klöppeln geschlagen. Ihr Klang ließ mein Herz höher schlagen und erinnerte mich an jene Zeichen und Nachrichten aus der Vergangenheit, die unbedingt gelesen werden wollen, auch wenn man nicht sicher sein kann, was sie bedeuten. Wie wir da so im späten Nachmittagslicht standen, das vom Wasser reflektiert wurde, hätten mein Fahrer und ich gut türkische Agenten sein können, die diese Bastion eines fremden Glaubens ausspionierten; Spione statt zwei ganz schön staubige moderne Männer, die sich da an ein Automobil lehnten.
Ich hätte noch viel länger dastehen, schauen und lauschen können, ohne dass mir langweilig geworden wäre, aber ich war fest entschlossen, den Archäologen noch vor Einbruch der Nacht zu finden, und so ging ich in das Restaurant. Mit ein wenig Zeichensprache und meinem besten Pidgin-Latein konnte ich uns ein Boot zur Insel besorgen. Ja, ja, da sei ein Mann aus Bukarest, der da drüben mit einer Schaufel herumgrabe, gelang es dem Eigner, mir zu übermitteln, und zwanzig Minuten später schon setzten wir unseren Fuß auf die Insel. Das Kloster war aus der Nähe sogar noch schöner, aber auch sehr abweisend mit seinen alten Mauern, Türmen und Kegeldächern, jedes bekrönt mit einem Kreuz mit sieben goldenen Scheiben. Der Bootsmann führte uns die steilen Stufen hinauf, und ich wäre sicher gleich durch die große hölzerne Tür getreten, aber er bedeutete uns, an der Mauer entlangzugehen.
Als wir die wunderschönen alten Mauern umrundeten, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich zum ersten Mal wirklich auf Draculas Spuren wandelte. Bis zu diesem Zeitpunkt
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