Der Historiker
der ihn liebte.‹ Wie sie selbst auch immer noch, hätte ich hinzufügen können, denn mein eigenes Herz war so voll, dass es mir ein besonderes Gespür für die Liebe zu geben schien, die schon seit Jahren in diesem kargen kleinen Haus begraben lag.
Meine eigenen Gefühle galten nicht Rossi allein. Dort am Tisch sitzend, nahm ich Helens Hand in die Rechte und die abgearbeitete Hand ihrer Mutter in die Linke und hielt sie beide fest umschlossen. Und die Welt, in der ich aufgewachsen war, ihr Rückhalt und ihr Schweigen, ihre Sitten und Gebräuche, die Welt, in der ich studiert und Dinge vollbracht und gelegentlich auch versucht hatte zu lieben, diese Welt schien so weit weg wie die Milchstraße. Ich hätte nicht sprechen können, wenn ich gewollt hätte, sonst wäre mir womöglich ein Weg eingefallen, diesen beiden Frauen mit ihrer so unterschiedlichen, aber gleich tiefen Bindung an Rossi zu erklären, dass ich seine Präsenz unter uns spürte.
Nach einer Weile zog Helen ruhig ihre Hand aus meiner, aber die ihrer Mutter verharrte, wobei sie mit sanfter Stimme eine Frage stellte. ›Sie möchte wissen, wie sie dir helfen kann, Rossi zu finden.‹
›Sag ihr, dass sie mir bereits geholfen hat und dass ich diese Briefe lesen werde, sobald wir uns wieder auf den Weg machen. Ich will sehen, ob sie uns nicht weiterbringen. Sag ihr, dass wir ihr natürlich davon berichten werden, wenn wir ihn finden.‹
Helens Mutter neigte uns ihren Kopf demütig zu und stand schließlich auf, um nach dem Eintopf auf dem Herd zu sehen. Er verbreitete einen wundervollen Duft, und sogar Helen lächelte, als hielte diese Rückkehr in ein Heim, obwohl es doch nicht wirklich ihres war, ihre ganz eigenen Belohnungen bereit. Der Friede des Augenblicks gab mir Mut. ›Frage deine Mutter doch bitte, ob sie etwas über Vampire weiß, das uns bei unserer Suche helfen könnte.‹
Als Helen das übersetzte, musste ich erkennen, dass ich mit meiner Frage unsere zerbrechliche Ruhe zerstört hatte. Ihre Mutter sah zur Seite und bekreuzigte sich, aber kurz darauf schon schien sie ihre Kräfte wieder so weit gesammelt zu haben, dass sie sprechen konnte. Helen hörte aufmerksam zu und nickte. ›Sie sagt, du darfst nie vergessen, dass ein Vampir seine Gestalt verändern kann. Er kann uns in vielen Formen begegnen.‹
Ich wollte fragen, was das genau bedeutete, aber Helens Mutter hatte bereits begonnen, mit zitternder Hand unser Essen auf die Teller zu geben. Die Wärme des Herds und der Geruch von Fleisch und Brot füllten das kleine Haus, und wir aßen mit gutem Appetit, ohne dabei zu sprechen. Zwischendurch reichte mir Helens Mutter immer wieder Brot, strich mir über den Arm und schenkte Tee nach. Das Essen war einfach, aber köstlich, und es gab reichlich, und durch die Fenster, die nach vorn hinausgingen, fiel Sonnenlicht und schmückte unsere Tafel.
Anschließend ging Helen mit einer Zigarette nach draußen, und ihre Mutter bedeutete mir, ihr hinter das Haus zu folgen. Dort war ein Verschlag, um den herum ein paar Hühner in der Erde scharrten, und ein kleiner Stall mit zwei langohrigen Kaninchen. Helens Mutter holte eines der Kaninchen heraus, und wir standen stumm zusammen und kraulten dem blinzelnden und sich etwas wehrenden Tier den weichen Kopf. Ich konnte hören, wie Helen im Haus das Geschirr abwusch. Die Sonne schien mir warm auf den Kopf, und die grünen Felder hinter dem Haus summten und wogten geradezu vor unerschöpflichem Optimismus.
Dann wurde es Zeit zum Aufbruch, wir mussten zurück zum Bus, und ich steckte Rossis Briefe in meine Aktentasche. Als wir hinausgingen, blieb Helens Mutter in der Tür stehen. Sie schien nicht daran zu denken, uns noch bis zur Haltestelle zu begleiten. Sie ergriff meine Hände und hielt sie voller Wärme in ihren, dabei sah sie mir in die Augen. ›Sie sagt, sie wünscht dir sichere Reisen, und dass du findest, wonach du suchst‹, erklärte Helen. Ich sah in die dunklen Augen dieser Frau und dankte ihr von ganzem Herzen. Sie umarmte Helen, hielt ihr Gesicht traurig einen Moment lang zwischen den Händen und ließ uns dann gehen.
An der Ecke der Straße sah ich mich noch einmal nach ihr um. Sie stand immer noch auf der Schwelle und stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab, als hätte unser Besuch sie geschwächt. Ich stellte meine Tasche in den Staub der Straße und lief so schnell zu ihr zurück, dass mir erst gar nicht bewusst wurde, dass ich mich überhaupt bewegte. An Rossi denkend, nahm ich
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