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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Bootseigner etwas Geld in die Hand. Er tippte sich an den Hut und verschwand, und mein Fahrer setzte sich an die Mauer und holte einen Flachmann raus.
    »Sehr gut. Wir gehen erst einmal außen herum.« Georgescu machte eine ausholende Geste. »Kennen Sie die Geschichte der Insel? Ein wenig? Im vierzehnten Jahrhundert stand hier eine Kirche; das Kloster wurde etwas später errichtet, aber noch im selben Jahrhundert. Die erste Kirche war aus Holz, die zweite aus Stein, aber 1453 versank die steinerne Kirche im See. Erstaunlich, finden Sie nicht? Dracula bestieg 1462 zum zweiten Mal den Fürstenthron der Walachei, und er hatte seine eigenen Ideen. Ich glaube, er mochte dieses Kloster, weil sich eine Insel leicht verteidigen lässt. Er hat immer nach Orten gesucht, die er gegen die Türken befestigen konnte. Das hier ist ein guter Platz, denken Sie nicht?«
    Ich stimmte ihm zu und bemühte mich, ihn nicht unentwegt anzustarren. Das Englisch dieses Mannes klang so faszinierend, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich auf den Inhalt zu konzentrieren, aber sein letzter Punkt war gut zu mir durchgedrungen. Mit nur einem Blick war ersichtlich, dass sogar ein paar Mönche diesen Stützpunkt gegen Eindringlinge verteidigen konnten. Velior Georgescu blickte sich ebenfalls zustimmend um. »Deshalb machte Vlad aus dem Kloster eine Festung. Er errichtete Wehrmauern, baute einen Kerker und eine Folterkammer. Und einen Fluchttunnel und eine Brücke zum Ufer. Er war ein heller Bursche, unser Vlad. Die Brücke gibt es schon lange nicht mehr, und ich bin dabei, die Reste davon auszugraben. Das, wo wir im Moment graben, war das Gefängnis. Wir haben bereits einige Skelette gefunden.« Sein Lächeln war breit, und seine Goldzähne blitzten in der Sonne.
    »Und das dort ist Vlads Kirche?« Ich deutete auf das rechteckige Gebäude gleich vor uns mit seinen Türmen. Es war von dunklen Bäumen umgeben.
    »Nein, ich fürchte nicht«, sagte Georgescu. »Die Türken haben das Kloster 1462 zum Teil niedergebrannt, als Vlads Bruder Radu, eine Marionette der Osmanen, auf dem Thron der Walachei saß. Und nachdem Vlad hier beerdigt war, blies ein schrecklicher Sturm seine Kirche in den See.« Lag Vlad hier also beerdigt? Die Frage brannte mir auf der Zunge, aber ich schwieg eisern. »Die Bauern müssen geglaubt haben, dass es Gottes Strafe für seine Sünden war. 1517 wurde die Kirche wieder aufgebaut. Es dauerte drei Jahre, und das Ergebnis sehen Sie hier vor sich. Die äußeren Mauern des Klosters sind erst vor rund dreißig Jahren neu errichtet worden.«
    Wir waren an der Kirche angekommen, und er klopfte gegen das Mauerwerk, als tätschelte er seinem Lieblingspferd den Hals. Während wir dort standen, kam plötzlich ein Mann um die Kirche herum und auf uns zu, ein weißbärtiger krummer alter Mann in einem schwarzen Rock und einer hohen schwarzen Mönchskappe mit einem Schleier, der ihm auf die Schultern fiel. Er stützte sich auf einen Stock; um die Hüfte trug er eine Kordel, an der ein Schlüsselbund hing, und um den Hals eine Kette mit einem sehr schönen Kreuz – ähnlich dem auf den Türmen.
    Das Erscheinen des Alten überraschte mich so, dass ich fast stolperte. Ich kann kaum die Wirkung beschreiben, die er auf mich hatte. Es war fast so, als hätte Georgescu erfolgreich einen Geist beschworen. Aber mein neuer Bekannter trat vor, lächelte den Mönch an und beugte sich über dessen knöcherner Hand, an der ein goldener Ring glänzte, und küsste den Ring. Der alte Mann schien ihn zu mögen, denn für einen Moment legte er eine Hand auf den Kopf des Archäologen und lächelte. Es war ein bleiches, welkes Lächeln, das mit noch weniger Zähnen auskam als das Georgescus. Ich hörte meinen Namen in der gegenseitigen Vorstellung und verbeugte mich so würdevoll, wie ich es vermochte, brachte es aber nicht über mich, den Ring des Mönchs zu küssen.
    »Das ist der Abt«, erklärte mir Georgescu. »Er ist der letzte hier und steht nur noch drei Mönchen vor. Er ist seit seiner Jugend hier und kennt die Insel weit besser, als ich es je tun werde. Er heißt Sie willkommen und gibt Ihnen seinen Segen. Wenn Sie Fragen an ihn haben, sagt er, wird er versuchen, sie zu beantworten. « Ich verbeugte mich zum Dank, und der Mönch ging langsam weiter. Ein paar Minuten später sah ich ihn still auf der Ecke der zerfallenen Wehrmauer hinter uns sitzen, wie eine Krähe, die in der Wärme der Nachmittagssonne döst.
    ›Leben die Mönche das ganze Jahr über

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