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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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hatte ich seine Spuren durch ein Labyrinth von Schriftstücken verfolgt, aber jetzt stand ich auf dem Boden, auf dem auch er gewandelt war. In was für Schuhen? Lederstiefeln mit grausamen Sporen? Wäre ich jemand gewesen, der sich mitunter bekreuzigt, jetzt wäre der richtige Moment dafür gewesen. Stattdessen verspürte ich das plötzliche Verlangen, den Bootsmann auf die raue, wollene Schulter zu klopfen und ihn zu bitten, uns sicher zurück ans Ufer zu rudern. Aber wie du dir vorstellen kannst, tat ich das nicht, und ich hoffe, ich bedaure am Ende nicht, dass ich meine Hand in Zaum hielt.
    Hinter der Kirche, in der Mitte einer großen Ruine, stießen wir tatsächlich auf einen Mann mit einer Schaufel. Es war ein freundlich aussehender Zeitgenosse mittleren Alters mit lockigem schwarzem Haar, dem das weiße Hemd aus der Hose gerutscht war. Die Ärmel hatte er bis über die Ellbogen aufgekrempelt. Zwei Burschen arbeiteten mit ihm, die vorsichtig mit der Hand durch das Erdreich strichen, und auch er legte kurz die Schaufel zur Seite, um es ebenso zu machen. Sie schienen sich auf einen sehr kleinen Bereich zu konzentrieren, als hätten sie dort etwas Interessantes gefunden, und erst als unser Bootsmann einen Gruß zu ihnen hinüberrief, sahen sie auf.
    Der Mann mit dem weißen Hemd kam auf uns zu und musterte uns mit scharfen dunklen Augen. Der Bootsmann vollführte so etwas wie eine Vorstellung, wobei ihm mein Fahrer zu Hilfe kam. Ich streckte die Hand aus und versuchte ein paar rumänische Ausdrücke, bevor ich ins Englische verfiel: »Ma num esc Bartolomeo Rossi. Nu va superati…« Diesen reizenden Satz hatte ich vom Rezeptionisten meines Hotels in Bukarest gelernt. Man unterbricht damit einen Fremden und bittet um eine Auskunft. Wörtlich bedeutet es »Seien Sie nicht zornig« – kannst du dir einen Ausdruck vorstellen, der mehr nach Geschichte riecht? »Zieh deinen Dolch nicht gleich heraus, Freund, ich habe mich in diesem Wald nur verlaufen und brauche jemanden, der mir zeigt, wie ich wieder rauskomme.« Ich weiß nicht, ob es die Art war, wie ich den Satz gebrauchte, wahrscheinlich eher mein grausamer Akzent, auf jeden Fall brach der Archäologe in Lachen aus und griff nach meiner Hand.
    Aus der Nähe sah man, dass er ein stämmiger Kerl war, sonnengebräunt und mit einem ganzen Faltennetz um Augen und Mund. Oben fehlten seinem Lachen zwei Zähne, und die meisten verbliebenen glitzerten golden. Sein Griff war wunderbarfest, trocken und rau wie der eines Bauern. »Bartolomeo Rossi«, sagte er mit voller Stimme und lachte immer noch. »Ma num esc Velior Georgescu. How do you do? How can I help you?« Einen Moment lang fühlte ich mich wie auf unserer Wanderung im letzten Jahr. Er hätte gut einer jener wettergegerbten Hochländer sein können, die wir ständig nach dem Weg gefragt haben, nur dass er kein sandfarbenes, sondern dunkles Haar hatte.
    »Sie sprechen Englisch?«, sagte ich verblüfft.
    »Ein kleines bisschen«, sagte Mr Georgescu. »Es ist lange her, dass ich Gelegenheit hatte zu üben, aber es wird mir schon wieder auf die Zunge kommen.« Er sprach fließend und mit voller Stimme und mit einem wunderbar rollenden R.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte ich hastig. »Wie ich höre, haben Sie ein spezielles Interesse an Vlad III. und ich würde sehr gern mit Ihnen über ihn sprechen. Ich bin Historiker an der Universität Oxford.«
    Er nickte. »Ich freue mich, von Ihrem Interesse zu hören. Sind Sie von so weit gekommen, nur um sein Grab zu sehen?«
    »Nun, ich hatte gehofft…«
    »Ah, Sie hoffen, Sie hoffen«, sagte Mr Georgescu und schlug mir dabei nicht unfreundlich auf die Schulter. »Aber ich werde Ihre Hoffnungen etwas dämpfen müssen, mein Junge.« Mein Herz tat einen Sprung. War es möglich, dass dieser Mann auch nicht glaubte, dass Vlad hier begraben lag? Aber ich entschied mich, zunächst abzuwarten und aufmerksam zuzuhören, bevor ich weitere Fragen stellte. Er musterte mich fragend, und dann lächelte er wieder. »Kommen Sie, ich mache einen kleinen Rundgang mit Ihnen. « Er gab seinen Helfern ein paar schnelle Anweisungen, die eine Einladung zu sein schienen, die Arbeit ruhen zu lassen, denn sie schlugen sich die Erde von den Händen und legten sich unter einen Baum. Er selbst lehnte seine Schaufel gegen eine halb ausgegrabene Mauer und winkte mir, ihm zu folgen.
    Ich ließ nun meinerseits den Bootseigner und den Fahrer wissen, dass ich erst einmal versorgt sei, und drückte dem

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