Der Historiker
Transsylvanien und der Walachei lebte und nur eines im Sinn hatte: die Osmanen so lange abzuwehren, aus seinem Land zu halten, wie möglich. Ich war fast eine ganze Woche in Istanbul, um mir ein Archiv anzusehen, in dem es Schriftstücke über ihn gibt, die von den Türken zusammengetragen wurden, und von den äußerst bemerkenswerten Karten, die ich dort gefunden habe, nehme ich an, dass sie mir den Begräbnisplatz verraten. Ich werde dir, wenn ich zurück bin, ausführlicher erklären, was mich überhaupt auf diese Suche gebracht hat. Bis dahin muss ich einfach um deine Nachsicht bitten. Kreide es meiner Jugend an, du alter Weiser, dass ich mich auf diese Jagd begeben habe.
Wie auch immer, mein Aufenthalt in Istanbul wurde gegen Ende eine recht finstere Angelegenheit und hat mir ziemlich Angst gemacht, auch wenn das so aus der Entfernung dumm klingen mag. Aber wie du weißt, lasse ich mich nicht so leicht von einer Suche abbringen, auf die ich mich einmal gemacht habe, und ich konnte nicht anders, als mit den Kopien der Karten, die ich mir angefertigt habe, in dieses Land zu fahren, um mehr über Draculas Grab herauszubekommen. Was ich dir zumindest erklären sollte, ist, dass er in einem Kloster auf einer Insel im Snagov-See begraben sein soll. Das liegt in Südrumänien, und die Gegend heißt Walachei. Die Karten aber, die ich in Istanbul gefunden habe und auf denen der Begräbnisplatz klar eingezeichnet ist, zeigen keine Insel, keinen See, und auch sonst sieht nichts nach Südrumänien aus, soweit ich das beurteilen kann. Es scheint mir immer eine gute Sache, das Offensichtliche erst zu probieren, denn das Offensichtliche birgt tatsächlich manchmal die richtige Antwort. Also habe ich mich entschieden – und jetzt sehe ich geradezu, wie du den Kopf schüttelst über meine, wie du denkst, dickköpfige Dummheit – , mit den Karten zum Snagov-See zu fahren und mich zu vergewissern, dass das Grab nicht dort ist. Wie ich das anstellen will, weiß ich noch nicht, aber ich kann mich nicht befriedigt anderswo auf die Suche machen, wenn ich diese Möglichkeit nicht zunächst einmal ausgeschlossen habe. Und vielleicht sind meine Karten ja auch nur ein alter Schelmenstreich und ich finde ausgiebige Gründe, dass der Tyrann dort seit jeher sein Schläfchen hält.
Am Fünften muss ich zurück in Griechenland sein, ich habe also nur wertvoll wenig Zeit für diesen Ausflug. Ich will eigentlich nur herausfinden, ob meine Karten mit irgendetwas in der Gegend des Grabes korrespondieren. Warum ich das wissen muss, kann ich auch dir nicht sagen, mein lieber Mann – ich wünschte, ich wüsste es selbst. Beenden möchte ich meine Rumänienreise damit, mir möglichst viel von der Walachei und Transsilvanien anzusehen. An was denkst du, wenn du das Wort »Transsilvanien« hörst, so du überhaupt darüber nachdenkst? Ja, wie ich es mir gedacht habe – weise, dass du es nicht tust. Aber was mir in den Sinn kam, waren Berge von wilder Schönheit, alte Burgen, Werwölfe und Hexen: ein Land magischer Finsternis. Wie, um es kurz zu machen, soll ich glauben, dass ich noch wirklich in Europa bin, wenn ich in solch ein Reich eintrete? Ich werde dich wissen lassen, ob es Europas Märchenland ist, wenn ich erst da bin. Aber erst Snagov – morgen geht’s los.
Dein dir ergebener Freund, Bartholomew Rossi
22. Juni, Bukarest
Mein lieber Freund,
ich habe noch keine Stelle gefunden, wo ich meinen ersten Brief aufgeben kann, das heißt, wo ich ihn mit dem nötigen Vertrauen aufgeben kann, dass er auch in deine Hände gelangen wird, aber trotzdem schreibe ich voller Hoffnung weiter, weil einfach so viel passiert ist. Ich habe gestern den ganzen Tag hier in Bukarest damit zugebracht, gute Karten ausfindig zu machen, und jetzt habe ich zumindest Straßenkarten von der Walachei und Transsilvanien. Daneben habe ich mit allen an der Universität gesprochen, die ein Interesse an Vlad Tepes hätten haben können. Niemand hier scheint über ihn sprechen zu wollen, und ich habe das Gefühl, dass sie sich innerlich, wenn nicht äußerlich, bekreuzigen, sobald ich Draculas Namen nenne. Nach meinen Erfahrungen in Istanbul macht mich das leicht nervös, wie ich gestehen muss, aber jetzt mache ich erst einmal weiter.
Jedenfalls habe ich gestern an der Universität einen jungen Archäologieprofessor kennen gelernt, der freundlich genug war, mich zu informieren, dass sich einer seiner Kollegen, ein Mr Georgescu, auf die Geschichte Snagovs
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