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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Mutter‹, sagte Helen, als suchte sie nach Worten. Sie legte ihm die Hand auf die Wange. ›Vater, ich bin Helen… Elena. Ich bin deine Tochter.‹
    Er hob eine Hand, deren Zittern er kaum zu beherrschen schien, und griff nach ihrer. Die Haut war voller blauer Flecke, die Nägel überlang und gelblich. Ich wollte ihm sagen, dass wir ihn in null Komma nichts hier herausholen und nach Hause bringen würden, aber ich sah, wie schrecklich verletzt er war. ›Rossi‹, sagte ich und beugte mich näher zu ihm hinunter. ›Ich bin’s, Paul. Ich bin hier.‹
    Seine Augen bewegten sich verwirrt von mir zu Helen und wieder zurück, und dann schloss er sie mit einem Seufzer, der seinen ganzen Körper erzittern ließ. ›Oh, Paul‹, sagte er. ›Du hast mich gesucht. Das hättest du nicht tun sollen.‹ Er sah Helen wieder an, seine Augen verschleierten sich und schienen noch etwas anderes sagen zu wollen. ›Ich erinnere mich an dich‹, murmelte er nach einer Weile.
    Ich nestelte in der Innentasche meiner Jacke und holte den Ring hervor, den mir Helens Mutter gegeben hatte. Ich hielt ihm den Ring nahe vor die Augen, aber nicht zu nahe, und er ließ Helens Hand los und berührte ihn unbeholfen. ›Er ist für dich‹, sagte er zu ihr, und Helen nahm ihn und steckte ihn sich auf den Finger.
    ›Meine Mutter‹, sagte sie, und ihre Lippen zitterten. ›Erinnerst du dich? Du hast sie in Rumänien getroffen.‹
    In dem Lächeln, das sein verzerrtes Gesicht überzog, war etwas von seinem alten Eifer zu erkennen. ›Ja‹, flüsterte er endlich. ›Ich habe sie geliebt. Wo ist sie?‹
    ›Sie lebt sicher in Ungarn‹, sagte Helen.
    ›Du bist ihre Tochter?‹ In seiner Stimme lag so etwas wie Verwunderung.
    ›Ich bin deine Tochter.‹
    Langsam, ganz langsam stiegen Tränen in seine Augen, als täten sie sich schwer, und liefen aus seinen Augenwinkeln. Die Spur, die sie hinterließen, glänzte im Kerzenlicht. ›Bitte, pass auf sie auf, Paul‹, sagte er schwach.
    ›Ich werde sie heiraten‹, sagte ich ihm und legte meine Hand auf seine Brust. Ein unheimliches Pfeifen drang daraus hervor, aber ich zwang mich, meine Hand dort zu halten.
    ›Das ist gut‹, sagte er endlich. ›Lebt ihre Mutter und geht es ihr gut?‹
    ›Ja, Vater.‹ In Helens Gesicht zuckte es. ›Sie lebt sicher in Ungarn.‹
    ›Ja, das sagtest du.‹ Er schloss die Augen wieder.
    ›Sie liebt dich immer noch, Rossi.‹ Ich strich ihm mit unsicherer Hand über das Hemd. ›Den Ring hat sie mir für dich mitgegeben und… einen Kuss.‹
    ›Ich habe so oft versucht, mich zu erinnern, wo sie war, aber etwas…‹
    ›Sie weiß, dass du dich bemüht hast. Ruh dich einen Moment lang aus.‹ Sein Atem begann alarmierend zu rasseln.
    Plötzlich flogen seine Augen auf, und er wollte sich aufrichten. Es war grausam, ihm dabei zuzusehen, wie er kaum ein Glied zu heben vermochte. ›Kinder, ihr müsst sofort verschwinden‹, keuchte er. ›Es ist hier sehr gefährlich für euch. Er wird zurückkommen und euch töten.‹ Seine Augen schossen hin und her.
    ›Dracula?‹, fragte ich leise.
    Sein Gesicht verzerrte sich für einen Moment, als er den Namen hörte. ›Ja. Er ist in der Bibliothek.‹
    ›In der Bibliothek?‹, fragte ich und sah mich trotz des Entsetzens in Rossis Gesicht erstaunt um. ›In was für einer Bibliothek?‹
    ›Seine Bibliothek ist da drin…‹ Er versuchte auf eine Wand zu deuten.
    ›Rossi‹, sagte ich drängend. ›Sag uns, was passiert ist und was wir tun sollen.‹
    Er schien einen Moment lang Schwierigkeiten zu haben, etwas zu sehen, doch dann konzentrierte er sich auf mich und blinzelte ein paarmal. Das geronnene Blut an seinem Hals hob und senkte sich im Rhythmus seiner mühsamen Atemzüge. ›Er war plötzlich da, in meinem Büro, und nahm mich auf eine lange Reise mit. Ich war… lange nicht bei Bewusstsein, deshalb weiß ich auch nicht, wo wir hier sind.‹
    ›In Bulgariens sagte Helen und hielt liebevoll seine geschwollene Hand.
    Der alte Wissensdurst flackerte in seinen Augen auf. Bulgarien? Also deshalb…‹ Er versuchte, seine Lippen zu befeuchten.
    ›Was hat er dir angetan?‹
    ›Er hat mich hergebracht, damit ich mich um seine… teuflische Bibliothek kümmere. Ich habe mich auf jede erdenkliche Weise widersetzt, Paul. Es war mein Fehler, Paul. Ich hatte wieder Nachforschungen angestellt, für einen Aufsatz…‹ Er kämpfte um Luft. ›Ich wollte ihn als Teil einer… größeren Tradition zeigen. Angefangen mit den

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