Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
Vom Netzwerk:
und worauf immer ich lag, auch das war kalt, und ich fühlte mich völlig durchgefroren. Auf dieses Gefühl folgte ein Licht, ein schwaches Licht, aber ausreichend, um mich davon zu überzeugen, dass ich nicht blind war und sich meine Augen öffnen ließen. Dieses Licht und der Schmerz, mehr als alles andere, bestätigten mir, dass ich noch lebte. Ich begann mich an das, was ich zunächst noch für den letzten Abend hielt, zu erinnern – wie Paul mit seiner erschreckenden Entdeckung in mein Büro gekommen war. Dann jedoch begriff ich mit einem Schlag, und mein Herz schien ins Bodenlose zu stürzen, dass ich in der Gewalt des Bösen war. Deshalb war mein Körper so zugerichtet, und deshalb schien ich vom Geruch des Bösen selbst umgeben.
    Ich bewegte meine Gliedmaßen so vorsichtig wie möglich, und es gelang mir, trotz meiner großen Schwäche den Kopf zu drehen und anzuheben. Meine Sicht wurde von einer dunklen Wand blockiert, die keine zehn Zentimeter von mir entfernt war, und das schwache Licht, das ich bemerkt hatte, fiel oben über ihre Kante. Ich seufzte und hörte den Seufzer, was mich glauben ließ, dass ich auch hören konnte und mich nur taub gefühlt hatte, weil es an diesem Ort so ruhig war. Ich lauschte aufmerksamer noch als zuvor, hörte aber nichts, und richtete mich in eine Sitzposition auf, was mir üble Schmerzen durch die Glieder trieb und ein Gefühl großer Schwäche. In meinem Kopf pochte es. Im Sitzen schien mein Gefühlssinn etwas zurückzukehren, und ich stellte fest, dass ich auf einem Stein gelegen hatte; die niedrigen Wände auf jeder Seite von mir halfen mir, mich aufrecht hinzusetzen. Es dröhnte jetzt fürchterlich in meinem Kopf, und das Dröhnen schien den Raum um mich herum gänzlich auszufüllen. Der Raum war düster, wie ich gesagt habe, und still, und in den Ecken drohte Finsternis. Ich tastete mit den Händen um mich herum. Ich saß in einem offenen Sarkophag.
    Übelkeit stieg in mir auf, aber gleichzeitig sah ich, dass ich immer noch den Anzug trug, den ich im Büro angehabt hatte, obwohl auf der einen Seite die Ärmel von Hemd und Jackett zerrissen waren und die Krawatte fehlte. Die Tatsache, dass ich meine eigenen Kleider trug, gab mir jedoch etwas Sicherheit. Das hier war nicht der Tod, und ich war auch nicht irrsinnig geworden, war in keiner anderen Zeit aufgewacht, es sei denn, meine Kleider waren mit mir dorthin transportiert worden. Ich befühlte mein Jackett und die Hose und fand meine Geldbörse vorn in einer meiner Hosentaschen. Das vertraute Gefühl in meiner Hand versetzte mir einen Schreck. Meine Uhr war jedoch, wie ich mit Bedauern feststellte, von meinem Handgelenk verschwunden, ebenso wie mein Füllfederhalter aus der Innentasche des Jacketts.
    Ich fuhr mit der Hand an meinen Hals und mein Gesicht. Das Gesicht schien unverändert, bis auf eine sehr empfindliche Stelle an der Stirn, aber im Muskel meines Halses fand ich eine böse Stichwunde, die sich klebrig anfühlte. Sobald ich meinen Kopf zu weit drehte und kräftig schluckte, gab die Wunde einen saugendes Geräusch von sich, das mich über alles entsetzte. Um die Wunde herum war der Hals geschwollen und klopfte schmerzvoll, wenn ich ihn berührte. Ich drohte vor Furcht und Hoffnungslosigkeit die Besinnung zu verlieren, aber dann wurde mir wieder bewusst, dass ich genug Kraft besaß, um sitzen zu können. Vielleicht hatte ich doch nicht so viel Blut verloren, wie zunächst angenommen, und vielleicht bedeutete das, dass ich erst einmal gebissen worden war. Ich fühlte mich wie ich selbst, nicht wie ein Dämon, verspürte kein Verlangen nach Blut oder Boshaftigkeit im Herzen. Großes Elend senkte sich über mich. Was machte es schon, dass ich noch keine Blutgier empfand? Wo ich auch war, es würde sicher nur eine Frage der Zeit sein, bevor ich völlig verseucht war. Es sei denn, ich konnte entfliehen.
    Langsam drehte ich den Kopf und sah mich um, versuchte den Blick klar zu bekommen und vermochte schließlich die Lichtquelle zu lokalisieren. Es war ein rötliches Glühen, weit weg in der Dunkelheit – wie weit, konnte ich nicht sagen –, und zwischen mir und diesem Glühen zeichneten sich mächtige Umrisse ab. Ich fuhr mit den Händen außen über meine steinerne Bleibe. Der Sarkophag schien nicht hoch über der Erde zu stehen, oder dem Steinboden, und ich fühlte um ihn herum, bis ich glaubte, in die Düsternis hinaussteigen zu können, ohne gleich irgendwo in die Tiefe zu stürzen. Es war ein großer

Weitere Kostenlose Bücher